Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: gut und böse

Beitrag 2: Der Keim des Guten (Bodo Fiebig29. Oktober 2022)

Vielleicht müssen wir das mit „gut” bzw. „böse” Gemeinte noch nüchterner betrachten:, Der „Kampf ums Dasein“, das Leiden und der Tod in der Natur sind das „Normale”, nicht das Leben, der Frieden und die Freude. Das gilt für alles Leben. Nur solange sich ein Lebewesen in jeder Sekunde seiner Existenz gegen den Verfall und den Tod wehrt (mit seinen äußeren Kräften gegen Angriffe von außen durch Abwehr, Tarnung oder Flucht, oder mit den inneren Kräften des Immunsystems gegen Keime fremden Lebens im eigenen Körper, oder mit eigener Anstrengung gegen den Mangel an Lebensnotwendigem: An Wasser, Nahrung, Luft, Schutz, Lebensraum …) nur so lange lebt es. Und diese Abwehr kann grundsätzlich immer nur eine begrenzte Dauer gelingen; wenn sie auch nur für eine kurze Zeit nachlässt, stirbt das Lebewesen, ob Mensch, Regenwurm oder Bakterie.

Aber nicht nur das Leben erweist sich als flüchtige Erscheinung, sondern auch die Materie selbst. Die Teilchenphysik, die nach den elementaren Grundlagen der Materie forscht, stößt auf immer kleinere und ungreifbarere Teilchen und Wellenerscheinungen, bis sie schließlich nur noch substanzlose Energiezustände vor sich hat, die sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einer gewissen Zuordnung zueinander befinden. Dass überhaupt „etwas“ existiert, das nicht „Nichts” ist und dieses „Etwas“ über eine Zeit hinweg erhalten bleibt, das ist ein auch für die moderne Wissenschaft unerklärliches Phänomen, gegen alle Wahrscheinlichkeit, Logik und Vernunft.

Dass ein Universum existiert, in dem das Leben sich entwickeln konnte, ist etwas unglaublich Unwahrscheinliches. Dazu müssen die Kräfte und Konstanten der Natur mit solcher Präzision justiert und aufeinander abgestimmt sein, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass so etwas zufällig zusammentreffen könnte, gegen absolut Null geht. Ein Physiker brachte es auf den Punkt: „Unser Universum ist ausbalanciert wie ein Bleistift, der seit Milliarden von Jahren auf der Spitze steht”. Das „Normale”, das, was man nüchtern abwägend erwarten müsste, ist die „Nichtexistenz von Etwas”. Und wenn doch, gegen alle Wahrscheinlichkeit, in diesem „Nichts” ein „Etwas” sich zusammenballt (in einem Augenblick der Entstehung, den wir etwas naiv den „Urknall” nennen), ein „Etwas” aus Energie und Materie, in Zeit und Raum sich darstellend und entwickelnd, dann müsste man erwarten, dass es schon im Verlauf der ersten Millionstel-Sekunden wieder in sich zusammenfällt. Dass etwas ist und bleibt, das ist eigentlich gar nicht möglich, das ist ein unerhörter Widerspruch gegen die Fakten, wie sie etwa in der Quantenphysik deutlich geworden sind.

Bei Gott aber „ist kein Ding unmöglich”. Er bewirkt als Erstes im Nichts den „Anstoß des Seins” als Wechselspiel und Ausformung von Energie und Materie in Raum und Zeit (siehe dazu das Thema „Die Frage nach dem Sinn”, Beitrag „Der Anstoß des Seins”). Gott macht es so, wie man einen Stein in einen ruhenden See wirft und damit ein ganzes System kreisförmig expandierender Wellenbewegungen erzeugt. Und so wie die Wellenringe auf dem Wasser nur eine flüchtige Erscheinung an der Oberfläche des Sees sind, so ist alles Materielle nur eine vorübergehende Wellen-Erscheinung auf der Oberfläche des Seins. Und doch bildet es die Welt, in der wir leben.

Die elektromagnetischen Felder, Wellenbewegungen und Strahlungen, die Galaxien und Sternensysteme, die „Roten Riesen”, „Weißen Zwerge” und „Schwarzen Löcher” des Weltalls, die sind nicht gut oder böse, aber sie sind „da” und allein das ist schon eine Qualität, die offen ist für Entwicklungen, auch für Unerwartetes. Man kann es auch so sagen: Mit der Erschaffung eines Universums, in dem Erscheinungen wie Energie und Materie, Raum und Zeit möglich sind, hat Gott Voraussetzungen geschaffen, dass ein Umfeld existiert, wo „etwas“geschehen könnte, vielleicht sogar „etwas Gutes”.

Als Zweites entzündet Gott im schon existierenden Universum, an einer winzigen, entlegenen Stelle auf einem Planeten in einem der Milliarden Sonnensysteme, in einer der Milliarden Galaxien den Feuerfunken des Lebens (siehe das Thema „Leben und Tod”, Beitrag 1 „Was ist Leben?”) noch viel unwahrscheinlicher und „unmöglicher” als die Entstehung des materiellen Universums und beginnt dort mit ihm ein völlig neues Dasein: Materie und Energie in dynamischer Wechselwirkung und prozesshafter Veränderung, ausgeformt anhand einer sich selbst reproduzierenden Information (in den DNA-Strängen der Gene), die einen individuellen (und zugleich auch überindividuellen Lebensplan der biologischen Art) verwirklicht, organisiert im sich ständig erneuernden Gesamtsystem eines lebenden Organismus, der (bei höher entwickeltem Leben) bei allem Stoffwechsel doch als Individuum, als einmaliges unwiederholbares Original erkennbar bleibt.

Und Gott entfaltet auf der Erde die Vielfalt des Lebens in Millionen verschiedenen Erscheinungsweisen und Formen. Die Biosphäre der Erde ist ein Gesamtsystem, in dem alles Leben wechselseitig voneinander abhängig und aufeinander angewiesen ist und keines ohne die Fülle der anderen existieren kann, auch wenn jedes einzelne Lebewesen im ständigen „Kampf ums Dasein” um sein Lebensrecht ringen muss. Auch das Leben ist nicht gut oder böse, aber es lebt, und das allein ist schon eine ungeheure Bereicherung der Schöpfung, eine unglaubliche Erweiterung ihrer Möglichkeiten, und zugleich auch Annäherung an eine Wirklichkeit, in der (gegen alle Wahrscheinlichkeit) mitten in der Natur „etwas Un-natürliches“ sich ereignen könnte, vielleicht sogar „etwas Gutes”.

Als Drittes erwählt sich Gott aus der millionenfachen Fülle unterschiedlichster Lebensformen ein einziges Wesen, mit dem er ein völlig neues Dasein beginnt: Eine Neu-Schöpfung, welche die Erschaffung des Universums und die Entstehung und Entfaltung des Lebens noch unendlich übersteigt: Die Erwählung und Berufung des Menschen.

Nein, nicht weil der Mensch als Lebewesen allen anderen Lebewesen so hoch überlegen wäre (der Mensch ist, materiell und biologisch gesehen, ein Lebewesen wie jedes andere, den Säugetieren eng verwandt), sondern weil der Mensch ein Dasein verwirklichen soll, das weit über Materie und Biologie und auch weit über alles Menschenmögliche hinausgeht: Was das ist, steht schon auf der ersten Seite der Bibel (1. Mose 1, 27): Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Man muss sich das mal vorstellen: Ein Lebewesen, ein Geschöpf unter Millionen Geschöpfen, und das als Ebenbild, als Vergegenwärtigung und Gegenüber des Schöpfers!

Wie sollte so etwas möglich sein, wie soll der Mensch denn so eine Berufung verwirklichen? Die einzige Möglichkeit ist: Indem er die „Erkenntnis von gut und böse“ gewinnt und dann das Gute tut und das Böse zurückweist, denn so ist Gott.

Aber Gott-Sein übersteigt unendlich alles Menschen-Mögliche. Und doch soll es möglich werden. Wie könnte das geschehen? Nur so: Gott gibt etwas von sich, nein nicht „etwas“ von sich, sondern sich selbst, sein Wesen, ja, sein eigenes Innerstes, in die von ihm geschaffene Welt (Röm 5,5): … denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Und (1.Jo 4,7): Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe.

So soll das Gute unter den Menschen möglich werden, indem das, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, die Liebe, die sein „Geist“ ist, seine „Person“, seine „Identität“, dass die „ausgegossen wird“ in die Herzen der Menschen. Denn die Liebe, die von Gott kommt, ist die einzige Möglichkeit, die einzig ausreichende Voraussetzung, dass Menschen in ihrem Miteinander (und im Gegenüber der ganzen Schöpfung) fähig sein könnten, das Gute tun und das Böse meiden.

Das aber konnte nur so gehen, dass die Liebe Gottes selbst Mensch wurde, Teil der Schöpfung und des Lebens, mit all ihren Zwängen und Begrenzungen, mit all ihrem Leiden und Sterben (1. Jo 4,8): Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn (in der Liebe) leben sollen. In dem jüdischen Menschen Jesus aus den Städtchen Nazareth in Galiläa ist ein vollgültiges „Ebenbild“ Gottes unter den Menschen und mitten in der geschaffenen Welt gegenwärtig. Durch ihn ist in dieser Welt und Zeit die Menschheitsberufung verwirklicht (Gott schuf das Menschsein sich zum Bilde).

So konnte nun eine Menschheits-Geschichte in Gang kommen, in dem durch die Liebe, die von Gott kommt, das Gute als Herausforderung und als reale Möglichkeit immer gegenwärtig ist. Das, was die Bibel unter dem Begriff „Liebe“ (hebräisch AHaBaH) versteht, ist zunächst nicht ein Gefühls-Schwall, sondern ist die Bereitschaft, die „Erkenntnis von gut und böse“ dazu einzusetzen, in jeder aktuellen Situation gut und böse zu unterscheiden und die Entscheidung, dann das Gute zu tun und das Böse zu lassen. (Selbstverständlich kann das (die Liebe) dann auch mit Sexualität zu tun haben. Aber: Wer das biblisch mit „Liebe“ Gemeinte auf Sex reduziert, hat etwas ganz Entscheidendes der biblischen Botschaft noch nicht erfasst.

Jesus fasst einmal alle „Weisungen“ (Gebote) der Bibel in einem einzigen Satz zusammen: Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst. Gott ist Liebe und der Mensch (jeder einzelne und das Menschsein als Ganzes) soll ein anschaubares und erkennbares „Bild” Gottes darstellen (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben”, Beitrag 3 „Berufung und Verheißung des Menschseins”).

Das Einzigartige am Menschsein liegt darin, dass Gott ihm eine einzigartige, ja eigentlich unmögliche „Aufgabe” zumutet: Die Erkenntnis von gut und böse zu entwickeln und dann das Gute zu tun und das Böse zurückzuweisen und somit selbst zum Eben-Bild der Liebe Gottes zu werden. Der Mensch ist die einzige Existenz im ganzen Universum, die fähig wäre, „etwas Gutes“ zu vollbringen. Damit dies geschehen kann, dazu hat Gott die Schöpfung gemacht. Dazu braucht der Mensch aber die „Erkenntnis von gut und böse”. Ohne die ist so etwas wie „Liebe” (in Sinne von: dem andern uneigennützig etwas Gutes tun) nicht möglich. Aber wie kann es dann etwas „Böses“ geben, wenn doch die Natur weder gut noch böse sein kann und das Menschsein zum Guten berufen ist? Wie kommt das Böse in eine gute Schöpfung? (Siehe den nächsten Beitrag).

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