Zunächst müssen wir der Frage nachgehen: Woher kommt das Böse in unsere Welt? Hatte Gott nicht eine gute Welt geschaffen? Wie kann es in einer guten Schöpfung so viel Böses geben? Menschen erleben ihre Umwelt (und manchmal auch sich selbst) oft als etwas „Ungutes“, Bedrohliches, Angst-Machendes. Wie sollen wir uns das erklären? Hatte nicht alles so gut begonnen und es hätte es nicht so gut weitergehen können? Die Bibel beschreibt uns die Welt am Anfang der Welt-Geschichte sehr positiv (1. Mose 1,31): Und Gott besah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (Lutherüberstzung). Nicht nur „gut“, sondern „sehr gut“ war die Schöpfung angelegt. Woher sollte da etwas Böses hineinkommen und wie könnte da etwas Böses geschehen? Wie kommt das Böse in eine gute Welt?
1 Gutes und Böses
Die Frage, woher das Böse kommt, hat die Menschheit seit Jahrtausenden bewegt. In den Mythologien der Völker hat man diese Frage meistens mit der Existenz guter und böser Geister und Götter zu beantworten versucht. Das Gute kommt von den guten Göttern, das Böse von den bösen Göttern (den Dämonen), und der jeweilige Stand des Kampfes der guten Götter gegen die bösen entscheidet (je nachdem, wer gerade der Stärkere ist) auch über Gut und Böse in unserem eigenen Leben.
Die biblische Botschaft widerspricht diesen Deutungen ganz entschieden: Es gibt nur einen Gott, den einen, der alles geschaffen hat und alles am Leben erhält, und der will das Gute. (Freilich kennt die Bibel auch etwas, das sie „Satan“ nennt, als „Versucher“ der Menschen, aber niemals als gleich-mächtigen Gegenspieler Gottes!) Wie kann es aber dann sein, dass es etwas Böses gibt, etwas Böses, das etwas Gutes zu überwältigen vermag? (Und das geschieht ja täglich millionenfach!) Ist Gott zu schwach, das Gute durchzusetzen und das Böse zu verhindern?
Wenn man auf diese Frage eine in der biblischen Offenbarung begründete Antwort sucht, gibt es offensichtlich zwei Möglichkeiten der Deutung: Zum Ersten kann man davon ausgehen, dass es ursprünglich nichts Böses gab, dass der Urzustand der Schöpfung nur „gut“ war. Gott hat die Erde als schattenloses Paradies erschaffen, in dem es nichts Böses geben konnte und wo das Böse erst durch den „Sündenfall“ des Menschen in die Welt kam. Bei dieser Deutung kommt man aber in erhebliche Erklärungsnöte, denn lange bevor es Menschen gab und einen „Sündenfall“, wurde auf dieser Erde gelitten und gestorben, herrschte das Gesetz von „Fressen und Gefressen-Werden“. Und das sollte durchweg „sehr gut“ gewesen sein? Oft hilft man sich dann mit der Annahme eines Ur-Sündenfalls im Himmel, wo einer der Engelfürsten gegen Gott rebellierte und infolge dieser Rebellion das Böse auf die Erde brachte und so die ursprünglich gute Schöpfung verdarb. Man muss allerdings den biblischen Texten schon erheblich Gewalt antun, um sie in so eine Deutung zu pressen.
Die zweite Deutungsmöglichkeit der biblischen Texte geht ganz nüchtern davon aus, dass das Leben geschaffen und entfaltet wurde unter den Rahmenbedingungen, die wir in der Natur noch heute vorfinden: Das Gesetz vom „Fressen und Gefressenwerden“ beherrscht die belebte Natur (freilich nicht so durchgehend, wie die Evolutionslehre das glauben machen will; siehe das Thema „Die Ethik des Atheismus“, Abschnitt 3.2 „Kampf oder Vereinigung?“). Tierisches Verhalten folgt weitgehend den instinktgebundenen Anlagen der jeweiligen Art. Es kennt kein „Sollen“ und damit auch keine Verantwortung für sein Tun; es kann deshalb niemals „gut“ oder „böse“ sein, auch wenn die Katze die Maus jagt und frisst.
Der „Kampf ums Dasein“ und der Drang zum Überleben und sich Fortpflanzen entscheiden über das Leben und Überleben von Millionen verschiedener Lebensformen. Die ganze Biosphäre der Erde ist ein einziges integriertes Gesamtsystem von Ordnungen und Abläufen, in dem das Leben jedes einzelnen Individuums jeden Tag in Frage gestellt wird, das aber insgesamt das Überleben des Lebens über Millionen von Jahren gesichert hat. (Siehe dazu das Thema „Leben und Tod“.)
Aber ist so eine Lebensordnung als „Kampf ums Dasein“ durch „Fressen und Gefressen-Werden“ schon das Schöpfungs-Ziel, das Gott erreichen will? Offensichtlich nicht. Denn dann, so berichtet die Bibel, machte Gott etwas Seltsames und Unerwartetes: Er legte einen „Garten“ an und versetzte den Menschen dorthin und bepflanzte den Garten mit Bäumen (oder allgemein „Pflanzen“) als Nahrung für die Menschen. Und dort, im „Garten Eden“ soll, mitten in der ganz normalen Biosphäre der Erde, etwas ganz Neues, etwas bis dahin völlig Unmögliches beginnen.
2 Im Pflanzgarten des Guten
Nachdem Gott die Schöpfung fertiggestellt hatte, bereitete Gott für die Menschen einen „Garten“, das heißt einen geschützten und umfriedeten Lebensraum, in dem das Leben eine völlig neue „Lebensqualität“ bekommen sollte. 1. Mose 2,8: Und es pflanzte JaHWeH, Gott, einen Garten in Eden, im Osten, und setzte dorthin den Adam, den er gebildet hatte. In diesem „Garten“ sollte nun eine Weiterführung geschehen, durch die das Geschaffene auf einen Weg gebracht werden sollte, der die ganze Schöpfung zur Vollendung führt, so dass sie doch noch „sehr gut“ werden kann.
Ja, die Instinkte des Lebens und Überlebens und die „Spielregeln“ der Evolution zwingen alle Lebewesen in den „Kampf ums Dasein“, wo jedes Leben nur weiterleben kann, wenn dafür anderes Leben stirbt. Das ist das „Normale“. Aber seltsam: Es gibt offenbar keine Instinkte und keine Evolution, die ein Lebewesen zwingen könnten „gut“ zu sein (wenn wir die oben entwickelte Definition von „gut“ anwenden). Im Gegenteil: Die Bereitschaft, einem anderen Menschen, einem, der nicht „zu uns“ gehört, Gutes zu tun, widerspricht allen „Spielregeln“ der Natur beim „Kampf ums Dasein“ (denn der, dem ich jetzt helfe, könnte ja morgen mein Feind sein). Das „Gute“, also ein Handeln, das sich einem anderen liebevoll und hilfreich zuwendet, obwohl die Handelnden selbst und deren „Angehörigen“ (in der eigenen Familie, Sippe, Freundschaft, Volk, Staat, Religionsgemeinschaft …) keinen Vorteil davon haben, das ist in der Natur nicht vorgesehen. Und doch sollte es nun geschehen.
Der „Garten Eden“ ist kein schattenloses Paradies, in dem den Menschen die Früchte in den Mund wachsen. Er ist ein „Pflanzgarten“ in dem das zarte Pflänzchen des Guten geschützt und behütet wachsen und bis zur Frucht reifen kann. Der Nährboden (hebr. Adamah) dieses „Gartens“ soll der Mensch (hebr, Adam) sein. Auf dem Nährboden des Menschseins, im geschützten Lebensraum des Gartens Eden, soll das Unwahrscheinlichste des ganzen Universum doch geschehen: „Etwas Gutes“.
Kein Tier könnte das: Bewusst „gut“ sein (so wie es ja auch nicht bewusst böse sein kann). Ein Blindenhund z. B., der sein „Herrchen“ treu durch die Widrigkeiten des Alltags führt, tut dies, weil er das in einem langwierigen Training gelernt hat. Und weil jeder Lernfortschritt mit einem „Leckerli“ belohnt wurde. Die Vogelmutter, die bis zu ihrer eigenen Erschöpfung Futter für ihre Brut heranschafft und die trotz eigener Lebensgefahr ihre Jungen zu schützen versucht, wenn die Katze sich nähert, handelt nicht aus freier Entscheidung, sondern aus instinkthaftem Zwang, der ihr nicht die Möglichkeit lässt, sich auch anders zu entscheiden. Gut und Böse sind keine Begriffe, die tierisches Verhalten beschreiben. Nur der Mensch hat die Möglichkeit der Unterscheidung und der bewussten Entscheidung.
Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass es in der Schöpfung etwas „bewusst Gutes“ geben kann, ist, dass es inmitten der Schöpfung ein Geschöpf gibt, bei dem etwas aufwächst, das es bis dahin in der Entwicklung des Lebens noch nie gegeben hat: Eine „Erkenntnis“ von etwas, was es bis dahin noch bei keinem Lebewesen irgendeine Bedeutung hatte: Eine Erkenntnis von „gut“ und „böse“.
Aber, wozu denn das? Ganz einfach: Weil es nichts bewusst Gutes geben kann, solange man nicht zwischen gut und böse zu unterscheiden vermag. Das ist ja der Zustand allen natürlichen Lebens, dass es gar nichts wissen kann davon, dass etwas gut oder böse sein könnte. Nun sollte es aber nach dem Willen des Schöpfers ein Lebewesen geben, wenigstens eines, in dem „die Erkenntnis von Gut und Böse“ Raum gewinnen und wachsen kann. Und diese Erkenntnis, d. h. die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und sich dann auch gegen das Böse und für das Gute zu entscheiden, sollte sich von ersten Anfängen an im Miteinander der Menschen ausbreiten und am Ende alle menschliche Gemeinschaft bestimmen.
Der Garten Eden, das Paradies, ist ein Bild, eine Veranschaulichung für die Berufung des Menschseins: Im weithin wüstenhaften Orient, wo dieses Sprach-Bild herkommt, ruft das Wort „Garten“ selbst schon „paradiesische“ Vorstellungen auf. Gemeint ist ein bewässertes und durch eine „Einfriedung“ geschütztes Stück Land in einer kargen, oft lebensfeindlichen Landschaft. Und so soll das Menschsein im Gesamtzusammenhang des Lebens werden: Teil der Lebensgemeinschaft in der Biosphäre der Erde mit allen ihren Gesetzmäßigkeiten, Leiden und Tod und doch auch wie ein von Gott angelegter, von seiner Liebe bewässerter und von seinen Weisungen umfriedeter Garten, in dem etwas wachsen, blühen und Frucht tragen soll, was es sonst in der ganzen Schöpfung nicht geben kann: Eine Lebensgemeinschaft in der etwas bewusst Gutes im Miteinander und Füreinander geschehen und wachsen kann.
Wir müssen umdenken: Das Böse erscheint im Licht der biblischen Botschaft nicht wie ein fremder Krankheits-Keim, der sich in der guten Schöpfung einnistet und ausbreitet und alles verdirbt. Sondern umgekehrt: Der Keim des Guten, der von Gott kommt, soll sich einnisten und ausbreiten in einer ethisch blinden Schöpfung, die Gut und Böse gar nicht zu unterscheiden vermag. Dass dies nun geschehen kann, dazu ist der Mensch geschaffen (siehe das Thema „Adam, wer bist du?“) und dazu braucht er die „Erkenntnis von Gut und Böse“.
3 Früchte am Baum
Wie aber kommt das Gute in die Welt? (Siehe auch das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“, Beitrag 2 „Grundlagen des Glaubens“.) Auf gleichem Wege wie das Böse. Gut und Böse können nur gemeinsam die Bühne der Welt betreten und zwar erst dann, wenn es ein Lebewesen gibt, dem die Erkenntnis von Gut und Böse zugänglich ist, ein Lebewesen, das über eine ethische Unterscheidungsfähigkeit verfügt und über eine dieser Fähigkeit entsprechende Freiheit des Handelns. Der Schriftsteller Erich Kästner fasste das einmal in einem prägnanten Satz zusammen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Bis dahin gibt es nur unbewusstes Verhalten aus instinkthaftem Zwang. Wirklich Böses gibt es nur dann, wenn jemand erkennt, dass ein bestimmtes Verhalten einem anderen schadet, ihn schmerzt oder ihn gar umbringt und er es trotzdem tut, um des eigenen Vorteils willen oder einfach aus Lust am Bösen
Und wirklich Gutes gibt es nur, wenn jemand erkennt, dass sein aktuelles Handeln zwar nicht dem eigenen Nutzen und Vorteil dient, ihm vielleicht sogar schaden könnte, und er es trotzdem tut, um einem andern das Leben zu erhalten, oder sein Leben leichter und lebenswerter zu machen, um ihn zu erfreuen, ihn zu schützen oder zu fördern.
Gut und Böse sind Früchte am gleichen Baum, am Baum der „Erkenntnis”. Dabei geht es ja beim „Baum der Erkenntnis“ in der Bibel ausdrücklich nicht um „Erkenntnis“ im wissenschaftlichen Sinn. Selbstverständlich sollen und können sich Menschen Wissen und Erkenntnis erarbeiten über die Welt, in der sie leben. Das wird in der Bibel nirgendwo in Frage gestellt. Hier geht es um das Erkennen von gut und böse, also nicht um eine wissenschaftliche Fragestellung, sondern um eine ethische. Der Schöpfer traut dem Schöpfungs-Teil „Mensch“ zu, in jeder Situation seines Lebens die ethische Herausforderung zu erkennen, dabei gut und böse zu unterscheiden und sich dann in der konkreten Situation für das Gute und gegen das Böse zu entscheiden. Und er tut dies, obwohl er sich der ungeheuren Gefahr bewusst ist, in welche die ethische „Erkenntnis“ und die Freiheit des Handelns die Menschheit führen können, wenn sie zum Bösen missbraucht werden. Davon wird im nächsten Beitrag noch weitergehend zu reden sein: „Der Baum der Erkenntnis“.