Bisher haben wir vor allem das biologisch-natürliche und sozial-entwickelte Wesen des Menschen angesprochen. Nun soll erkennbar werden, dass jedes Menschenleben auch eine spirituelle Dimension hat: Der Mensch ist des einzige Lebewesen, das nicht nur biologisch und sozial bestimmt ist, sondern auch die Frage nach der Sinnorientierung seines Lebens stellt und stellen muss (siehe das Thema: „Die Frage nach dem Sinn“). Schon in sehr frühen Phasen des Menschseins können Archäologen Formen von Religiosität finden. Hier beziehe ich Frage nach Identität und Sinn des Menschseins auf biblische Aussagen. Welches „Menschenbild“ wird in der Bibel erkennbar? (Siehe dazu auch das Thema „Wer bin ich“?)
Die Bibel sagt: Materiell gesehen ist der Mensch gar nichts Besonderes. „Staub vom Erdboden” ist er, heißt es da mit verblüffender Nüchternheit (1. Mose 2, 7, siehe den Themenbeitrag „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild”). Und die Bibel hat recht: Die Atome, aus denen ein menschlicher Körper zusammengesetzt ist, unterscheiden sich in nichts von denen, die den „Staub vom Erdboden” bilden. Auch biologisch gesehen ist der Mensch nichts Besonderes. Biologisch funktioniert er genau so wie jedes andere Lebewesen auch. Und genetisch ist er den Säugetieren (einer Katze oder einer Maus) ganz eng verwandt.
Das Besondere des Mensch-Seins liegt nicht in seiner Materie und nicht in seiner Biologie. Worin aber dann? Was macht denn dann das Mensch-Sein des Menschen aus? Die Bibel sagt: Das Besondere am Menschen liegt in seiner Berufung, liegt in dem, was er sein kann und werden soll. Jedes Tier erfüllt den Sinn seines Daseins allein schon durch sein Da-Sein als Mit-Geschöpf im Beziehungsgefüge des Lebens. Es kann seinen Lebenssinn nicht verfehlen. Der Mensch aber hat die Erfüllung seines Lebenssinns als Aufgabe bekommen, die er erfüllen oder auch versäumen kann. Er ist das einzige Lebewesen, das den Sinn seines Daseins nicht in sich selbst hat, sondern ihn suchen und finden und als Berufung annehmen muss (er ist ja auch das einzige Wesen, das fähig ist, die Sinn-Frage zu stellen).
Aber was ist das für eine Berufung? Das steht schon auf der ersten Seite der Bibel: 1.Mose 1, 26-27 (wörtliche Übersetzung): Und (es) sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn …
Biblisch gesehen ist dieses auf zwei Beinen aufrecht gehende Lebewesen „Mensch” nicht definiert durch das, was es ist (ein relativ intelligentes Säugetier) sondern durch das, was es sein soll: Der Mensch ist im Vergleich zu allem Vorangegangenen eine wirkliche Neuschöpfung Gottes, trotz seiner biologischen Nähe zu den Säugetieren. Und dieses „ganz Neue“ ist nicht materieller und nicht biologischer Art, sondern besteht in einer besonderen, nur die Menschen betreffenden Berufung: Die Schöpfung „Mensch“ soll „Eben-Bild“ sein, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes (JHWHes) mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht, schauen wir uns doch die Götterbilder der Religionen an).
Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes (JHWHes) sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein. Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches Wesen? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte des Judentums und der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Und in dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben (siehe den Themenbeitrag „AHaBaH – das Höchste ist Lieben).
In der Bibel klingt das so: 1. Joh 4, 7-8: Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Person“, seine „Substanz”, seine „Identität”, sein „Geist“. (Wobei das deutsche Wort „Liebe“, ebenso wie jedes entsprechende Wort einer anderen Sprache, nicht im Entferntesten den Inhalt dessen erfassen kann, was in der Bibel gemeint wird, wenn sich dieses Wort auf Gott „JHWH“ bezieht).
Die Bibel beschreibt (in deutscher Übersetzung) das Wesen Gottes in drei Worten: Gott – ist – Liebe. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme und uneingeschränkter Zuwendung, in unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du. Zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt. Zu lieben, auch wenn es etwas kostet; wenn es in einer extremen Situation auch viel (Zeit, Geld, Aufmerksamkeit, Arbeit, Hingabe …) kostet.
Solche Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich sogar selbst unter Zurückstellung des eigenen kreatürlichen Lebenswillens für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, um es zu retten, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll.
Diese Liebe soll auch zur Überwindung des universalen Ego-Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen. Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein”, und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen. Mitten in einer Natur, in der jedes Lebewesen um seinen Lebensraum und seine Lebensmittel, ja direkt um sein Leben kämpfen muss, schafft Gott mit dem Menschen ein Geschöpf, das die Möglichkeit hat, seinen Lebensraum bewusst als Raum der Gemeinschaft zu gestalten und seine Lebens-Mittel im bewussten Miteinander und Füreinander zu erwerben.
Wer und wie ist Gott? In der Bibel lesen wir nichts darüber wie Gott aussieht, aber die Bibel ist von der ersten bis zur letzten Seite voll davon, was Gott tut, was er aus Liebe tut. Darin also, im Tun der Liebe, soll der Mensch, soll jede menschliche Gemeinschaft, ja soll das Menschsein als Ganzes ein erkennbares „Abbild“ Gottes werden. Nein, das ist nicht unmöglich!
Trotz aller schuldhaften Verirrung und Entfremdung menschlichen Lebens und Handelns ist doch das Bild der Liebe Gottes im Menschsein nicht gänzlich verloren und zerstört. Es ist trotz allem erkennbar, anschaubar, erfahrbar und nachahmbar, wenn auch zunächst nur in einem Einzigen. Wer mich sieht, der sieht den Vater, sagt Jesus (Joh 14,9). Aber damit spricht Jesus für sich das aus, was eigentlich die Berufung allen Menschseins ist: Bild Gottes zu sein. Wenn man die Menschen anschaut, nicht wie sie aussehen, sondern wie sie als Gemeinschaft miteinander leben und miteinander umgehen, und wie sie einander lieben, dann soll man eine erste, vorsichtige Ahnung davon bekommen: So ist Gott. Und das kann sich in aller Vorläufigkeit und Gebrochenheit menschlicher Gemeinschaft hier und jetzt an jedem Ort dieser Erde vollziehen.
Wir wissen selbst, wie sehr dieses Bild Gottes im Menschsein unter uns überdeckt, verdunkelt, verzerrt und entstellt ist. Nur in Jesus, in seinem Leben, Reden und Handeln ist ein menschlich wahrnehmbares „Bild“ Gottes unter uns gegenwärtig, das wirklich die Fülle seiner Liebe widerspiegelt, aber eben nicht als optisch erkennbare Gestalt (wir wissen ja nichts darüber, wie Jesus als Mensch ausgesehen hat), sondern als Vergegenwärtigung und „Bild” der Liebe Gottes im Leben und Tun.
Alle Beiträge zum Thema "Generationen und Geschlechter"
- Die Generationen-Folge 1: Der Anfang
- Die Generationen-Folge 2: Phasen des Lebens
- Beziehungen zwischen den Generationen
- Geschlechter 1: Die biologische Bedeutung der Zweigeschlechtlichkeit
- Geschlechter (2): Das Rechte und das Richtige
- (3): Geschlechtliche Zuordnung und sexuelle Orientierung
- Mann und Frau 1: Gaben und Aufgaben
- Mann und Frau 2: Biblisches Menschenbild
- Mann und Frau 3: Das Zeichen der Liebe
- Der Segen