Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Generationen und Geschlechter

Beitrag 6: (3): Geschlechtliche Zuordnung und sexuelle Orientierung (Bodo Fiebig17. Februar 2023)

Wenn es um das Verhältnis der Geschlechter zueinander geht, muss man unterscheiden zwischen geschlechtlicher Zuordnung und sexueller Orientierung. Das sind zwei ganz verschiedene Fragestellungen, die man nicht unangemessen zusammenbringen und vermengen sollte.

2.3.1 Geschlechtliche Zuordnung

Es gibt in der Biologie (bei höher entwickelten Arten der Tier- und Pflanzenwelt, nicht z. B. bei Bakterien und Viren) zwei Geschlechter: Männlich und weiblich. Das ist ein durchgehendes Schöpfungsprinzip und das gilt selbstverständlich auch für die Menschen (siehe den Abschnitt „biologische Bedeutung der Zweigeschlechtlichkeit“).

Allerdings kann es bei höher entwickelten Lebewesen vorkommen, dass die Zuordnung eines Individuums zu einem der beiden Geschlechter zeitweise unbestimmt ist oder auch dauerhaft unbestimmt bleibt. Und das kann es auch bei Menschen geben. Dass es bei Tieren und auch bei Menschen vorkommen kann, dass bei der Geburt eines „Kindes“ die Geschlechtsorgane nicht eindeutig ausgebildet sind, ist eine Realität, auch wenn solche Fälle verhältnismäßig selten vorkommen. Solche (oder auch anders verursachte) zeitweise oder dauerhafte Unbestimmtheit ist kein „drittes Geschlecht“ („divers“), sondern ein „nicht-eindeutig-festgelegt-Sein“ innerhalb der Zweigeschlechtlichkeit, das genetisch bedingt sein kann und das von der Allgemeinheit als gleichwertige und gleichberechtigte Lebensform anerkannt werden muss.

Wenn das bei Menschen der Fall ist, muss man mit Behutsamkeit und Zurückhaltung abwarten, bis der junge Mensch selbst in der Lage ist, eine persönlich begründete Entscheidung zu treffen, ob der sich dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuordnen will oder ob er/sie die geschlechtliche Unentschiedenheit beibehalten will. Dabei kann die betroffene Person fachliche (medizinische, psychologische …) Hilfe in Anspruch nehmen. Aus der Art dieser Entscheidung darf der betreffenden Person in der Öffentlichkeit kein Nachteil entstehen.

Unerträglich und jeder Menschenwürde zuwiderlaufend ist es aber, wenn Gender-Ideologen die ungeklärte und oft belastete Situation dieser Menschen ausnutzen, um (mit der angeblichen Fürsorge für sie) nur ihre eigene Ideologie durchzudrücken, welche sagt, dass es eben überhaupt keine eindeutige und bleibende Geschlechterzuordnung geben kann und die Bipolarität von Mann und Frau selbst schon eine Diskriminierung darstellt (siehe das Thema „Das Gender-Konstrukt“, Beitrag 1 „Die Gender-Ideologie“, die Inhalte können hier nicht wiederholt werden). Da wird der Versuch gemacht, Minderheiten-Rechte (die diesen Minderheiten selbstverständlich zustehen) so um-zu-interpetieren, dass man sie als Hebel für gesellschaftliche Veränderungen in Sinne einer abseitigen Ideologie verwenden kann. Dabei geht es vor allem um die Destabilisierung von Ehe und Familie.

In der gegenwärtigen Diskussion muss man da noch einen wichtigen Unterschied machen: Die gegenseitige geschlechtliche Zuordnung von männlich und weiblich ist von der Natur vorgegeben. Die Institution der Ehe nicht. Sie ist eine kulturbedingte gesellschaftliche Vereinbarung (die biblische Bedeutung der Ehe ist hier noch nicht angesprochen, siehe den Abschnitt 3 „Mann und Frau“). In den meisten Kulturen gilt heute: Eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft einer Frau mit einem Mann kann auf Wunsch beider öffentlich als „Ehe“ anerkannt werden und die steht dann unter dem Schutz der Allgemeinheit und hat (vor allem wenn sie als Familie zum Lebens- und Entwicklungsraum für Kinder wird) ein Recht auf besonderen Förderung durch die Allgemeinheit. Diese kulturbedingte Vereinbarung bezieht sich freilich im Hintergrund (bewusst oder unbewusst) auf die Schöpfungsrealität der Zweigeschlechtlichkeit und auf die Berufung und Segnung der Mann-Frau-Beziehung als „Ebenbild Gottes“ (siehe das Thema „sein und sollen“).

Die geschlechtliche Zuordnung wird allerdings in der gegenwärtigen Diskussion oft mit der Frage nach der sexuellen Orientierung verknüpft, was sachlich unsinnig ist und in der persönlichen Betroffenheit alles unnötig verkompliziert.

2.3.2 Sexuelle Orientierung

Die „sexuelle Orientierung“ eines Menschen ist im Gegensatz zur „geschlechtlichen Zuordnung“ keine von der Natur (also genetisch) vorgegebene Gegebenheit, sondern eine entwicklungsbedingte und von Erfahrungen beeinflusste Zu-Neigung oder Ab-Neigung bezogen auf Erotik und Sexualität (Nebenbei: Freundschaften, Interessengemeinschaften, Glaubensgemeinschaften usw. sind normalerweise von der sexuellen Orientierung unabhängig, auch wenn sie emotional starke Bindungen enthalten können).

Der Begriff „sexuelle Orientierung“ benennt die bevorzugte Ausrichtung eines Menschen hinsichtlich der sexuellen Partnerwahl. Die ist in der Kindheit noch spielerisch offen und veränderlich. Erst in der Pubertät festigt sich bei den meisten Jugendlichen die sexuelle Orientierung in Richtung auf das jeweils andere Geschlecht. Durch verschiedene innere und äußere Einflüsse kann es aber sein, dass diese Orientierung zeitweise oder dauerhaft nicht gelingt. Ob sie gelingt, haben die betroffenen Personen meist gar nicht selbst zu verantworten, weil entscheidende Prägungen häufig in der frühen Kindheit geschehen oder durch Umstände und Vorgänge beeinflusst werden, die gar nicht in ihrer Entscheidung liegen, sondern von außen (z. B. durch emotionale Mangel-Erfahrungen oder auch Gewalt-Erfahrungen) auf sie zukommen.

Auch später, also nach Ende der Pubertät, sind Veränderungen in der sexuellen Orientierung noch möglich. Das oft gebrauchte Argument, homosexuelle Orientierung sei eine unveränderliche „Schöpfungsvariante“, hat sich als falsch erwiesen (siehe z. B. in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ vom 30.8.21, dort wird eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ zitiert mit dem Titel: „Heterosexualität: Das Selbstbild kann sich ändern“.) Offensichtlich gibt es zwischen eindeutiger Heterosexualität oder Homosexualität viele Varianten, in denen Anteile beider Orientierungen vorhanden, aber verschieden stark ausgeprägt sind. Und diese Anteile sind offenbar auch im Erwachsenen-Alter noch veränderbar.

Homosexualität ist keine „Schöpfungsvariante“ und keine genetisch fixierte Eigenart. Es gibt kein Homo-Gen, aber es gibt Menschenschicksale, die sind nicht homogen, sondern geprägt durch Abbrüche, Umbrüche, Zusammenbrüche, durch Gewalt und Unterdrückung, durch Fehlerziehung oder fehlende Erziehung und, und, und…, manchmal schuldbelastet, manchmal einfach nur hilflos erlitten. So entstehen Entwicklungen, Orientierungen, Prägungen (manchmal begünstigt durch hormonelle Vorgänge während der Schwangerschaft), die durch eine Vielzahl schädigender Erfahrungen und Einflüsse in Gang gesetzt und verstärkt werden können. Solche Entwicklungen sind (z. B. wenn sie von den Betroffenen selbst als belastend empfunden werden) in den meisten Fällen grundsätzlich umkehrbar, auch wenn das nicht in jedem Falle gelingt.

Das bedeutet: Homosexualität ist keine „Schöpfungsvariante“ und keine „Krankheit“, sondern Ergebnis einer Entwicklung, die im Laufe eines Menschenlebens stattgefunden hat. Etwa vergleichbar mit dem Erleben und Verhalten eines Menschen, der als Kind einmal ins Wasser gefallen war und fast ertrunken wäre und nun auch noch als Erwachsener das Wasser scheut. Solche traumatisierenden Erfahrungen können dann allerdings  in Situationen persönlicher Verunsicherung (z. B. bei Jugendlichen in der Phase des hormonellen Umbruchs während der Pubertät) Stimmungen anregen, die eine (meist vorübergehende) Orientierung hin auf das eigene Geschlecht begünstigen. Das ist kein „Verbrechen“ und keine „Sünde“.

Aber: Wenn Gender-Aktivisten Jugendliche in einer Phase noch nicht gefestigter Orientierung dazu drängen, sich als „homosexuell“ zu „outen“, dann wollen sie diesen Jugendlichen nicht helfen, sondern wollen sie auf ihre eigene Gender-Ideologie festlegen. Und das kann sehr wohl unzulässig übergriffig (und im biblischen Verständnis „sündhaft“) sein. Denn das ist eine (Vor-) Entscheidung, die diese Jugendlichen (in der gegenwärtigen aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte) wahrscheinlich nie mehr los werden können, auch wenn sie in einer fortgeschrittenen Phase der Entwicklung selbst nicht mehr homosexuell empfinden.

Wenn ein Staat homosexuelle Beziehungen den heterosexuellen rechtlich weitgehend gleichstellt, dann muss er auch gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (so, wie die heterosexuelle Ehe) unter den Schutz der Allgemeinheit stellen, nicht aber (im Gegensatz zur Ehe von Mann und Frau) unter eine besonderen Förderung durch die Allgemeinheit. Das ist gut begründet: Jedes Menschenleben und jede Lebensgemeinschaft muss grundsätzlich unter dem Schutz der Allgemeinheit (z. B. des Staates) stehen, wer sich aber für eine homosexuelle Partnerschaft entscheidet, wählt bewusst eine Lebensform, in der Kinder nicht von diesen beiden Partnern gezeugt, ausgetragen und geboren werden können. Sie brauchen daher nicht die besondere Förderung wie eine Familie. Wenn es aber die Gesetze eines Staates erlauben (ob dies sinnvoll und angemessen sein kann, ist eine andere Frage), dass aus einer homosexuellen Gemeinschaft (in welcher Weise auch immer) eine Familie wird, in der Kinder zwar nicht gezeugt oder geboren werden, aber doch (z. B. durch Adoption) aufwachsen können, so steht ihr von staatlicher Seite die gleiche Förderung zu, wie jeder anderen Familie auch.

So weit können Christen und christliche Institutionen solche gesellschaftlichen Entscheidungen mitgehen. Wir müssen aber unterscheiden zwischen den Rechtsbestimmungen in staatlich organisierten Gesellschaften und den Folgerungen aus einem biblisch begründeten (individuellen und kollektiven) Menschenbild. Beide gehen von verschiedenen Voraussetzungen aus und sie haben verschiedene Zielausrichtungen. Und die Kirchen sollten sich hüten, ihr Menschenbild auf ein bestimmtes Modell gesellschaftlicher Ordnungen und sexuellen Verhaltens reduzieren zu lassen. Ihr Menschenbild ist unendlich weiter und größer und von daher stellt sich die Frage nach der Einordnung von Homosexualität anders.

Was ist Homosexualität? In den meisten gegenwärtigen Gesellschaften versteht man sie als eine mögliche Lebensform unter anderen und daran ist, gesellschaftlich gesehen, nichts auszusetzen. Für eine biblisch fundierte Antwort gelten aber andere Begründungen (wir kommen noch darauf). In der Diskussion wird die Frage nach der Homosexualität gegenwärtig oft noch einmal zugespitzt: Ist Homosexualität eine „Schöpfungsvariante“, also eine ganz normale, angeborene und unveränderliche Variante der sexuellen Orientierung, oder ist Homosexualität eine Fehlentwicklung, die, möglicherweise schon während der Schwangerschaft hormonell vorbelastet, meistens aber im Laufe der Kindheit und Jugend eines Menschen durch schädigende und desorientierende Einflüsse zu Stande gekommen ist?

Warum diese Frage so sehr in den Vordergrund gestellt wird, erkennt man an ihren Folgerungen: Indem man Homosexualität zu einer „Schöpfungsvariante“ erklärt (auch von Leuten, die sonst den Begriff “Schöpfung“ strikt ablehnen), kann man das Fundament christlichen Glaubens im Wort Gottes wieder ein Stückchen weiter demontieren: „Da seht ihr es wieder mal! Gott selbst hat doch die Homosexualität geschaffen (als eine Variante seiner Schöpfung) und gleichzeitig verbietet er sie in seinem Wort! Welch ein Widerspruch! Entweder ist die Bibel nicht Gottes Wort oder (wahrscheinlicher) sind beide (Gott und die Bibel) nur menschliche Erfindungen!“

Da wird die eigentliche Absicht hinter den Argumenten erkennbar: Es geht gar nicht um die homosexuell empfindenden Menschen. Aber man kann sie wirkungsvoll als Mittel zum Zweck benutzen, um den Prozess der Entkirchlichung unserer Gesellschaft wieder ein Stück voranzutreiben. Man will die Kirche in Widerspruch bringen zu sich selbst und zu ihren biblischen Grundlagen und so ihre Glaubwürdigkeit untergraben. Und: Man will die Kirchen zwingen, ihre Kräfte auf einem abseits gelegenen „Kampfplatz“ zu verschleißen und so verhindern, dass sie in unserer Zeit ihre eigentliche Berufung erkennt und wahrnimmt. Man will dazu beitragen, die Kirchen (nach innen und zwischen den Konfessionen) zu spalten, will immer neue Gegensätze konstruieren und Feindschaften aufbauen zwischen den Vertretern der verschiedenen Positionen, auch zwischen den verschiedenen Konfessionen. Und man ist zur Zeit sehr erfolgreich damit.

Wenn wir in der Frage nach der Bedeutung der Homosexualität zu einem biblisch begründeten Standpunkt kommen wollen, müssen wir im Gesamtzusammenhang der biblischen Botschaft nach der Bedeutung von Liebe und Sexualität fragen (siehe dazu auch das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“ im Bereich „Grundfragen des Glaubens“). Das soll im folgenden Kapitel „Mann und Frau“ geschehen (siehe dort die Abschnitte „Das biblische Menschenbild“ und „Der Segen“). Davor soll aber noch auf Entwicklungen hingewiesen werden, durch die die soziale Stellung von Männern und Frauen innerhalb von Lebens- und Kulturgemeinschaften entscheidend geprägt wurden (siehe Abschnitt 2.4.1 „Gaben und Aufgaben“).

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