Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Generationen und Geschlechter

Beitrag 3: Beziehungen zwischen den Generationen (Bodo Fiebig17. Februar 2023)

1 Übersicht

Zur besseren Verständlichkeit werden diesen Beziehungen zunächst in einer tabellarischen Übersicht dargestellt (und zwar in der linken Spalte fortlaufend von oben nach unten, und dann in der rechten Spalte in jeder Zeile in der Reihenfolge der Bedeutung von links nach rechts), dann kommen kurze Erklärungen hinzu. Selbstverständlich gibt es noch viele andere Beziehungen zwischen den Generationen, hier werden nur die wichtigsten innerhalb der eigenen Familie und im nahen Beziehungs-Umfeld genannt. Diese Darstellung geht von der „Ideal- Situation“ aus, dass die Generation räumlich und existenziell in einer „Nah-Beziehung“ leben, innerhalb derer sie sich überhaupt begegnen können. Das ist ja nicht selbstverständlich und im folgenden Abschnitt „Der Generationen-Abstand“ wird auch von gegenwärtigen sozialen Defiziten die Rede sein.

Lebensphase Welche Generationen-Beziehungen werden jetzt besonders wichtig? (Mit abnehmender Bedeutung von links nach rechts)
0 Schwangerschaft: Mutter – Vater – Geschwister- Freunde der Eltern- aktive Alte
1 Säugling: Mutter – Vater – Geschwister
2 Kleinkind: Eltern – Geschwister – Spielgruppe – aktive Alte
3 Großkind: Eltern – Geschwister – Spielgruppe – Lerngruppe – aktive Alte
4 Jugendliche: Jugendlichen-Gruppe – Geschwister – aktive Alte – Eltern
5 junge Erwachsene: Säugling – Kleinkind – Großkind – junge Erwachsene
6 ältere Erwachsene: Kleinkind – Großkind – hilfsbedürftige Alte
7 aktive Alte: Jugendliche – Kleinkind – Großkind – junge Erwachsene
8 hilfsbedürftige Alte: ältere Erwachsene – Kleinkind – Großkind – Jugendliche – junge Erwachsene

Anmerkungen dazu:

  1. Während der Schwangerschaft braucht eine schwangere Frau eine geschützte und befriedete Umweltsituation, in der sie aktiv sein und arbeiten kann, in der sie aber nicht überfordert wird von sachlichen und sozialen Belastungen.
  2. Die erste und elementarste Beziehung des Säuglings ist die zu dessen Mutter. Erst nach und nach kommen Beziehungen zum Vater, zu den Geschwistern und evtl. weiteren Personen hinzu.
  3. In der Kleinkind-Phase sind die Eltern und Geschwister weiterhin wichtigste Bezugspersonen. Jetzt kommen Spielgruppen hinzu. Auch aktive Alte suchen jetzt die Beziehung zu kleinen Kindern.
  4. Auch in der Großkind-Phase sind Eltern und Geschwister nächste Bezugspersonen. Spiel- und Lerngruppen (z. B. in der Schule) gewinnen an Bedeutung. Beziehungen zu aktiven Alten bleiben.
  5. Für Jugendliche sind Gruppen von Jugendlichen der wichtigste Bezugsrahmen, hinzu kommen Geschwister, aktive Alte und oft erst dann die eigenen Eltern.
  6. Junge Erwachsene sind selbstverständlich zuerst an ihre Kinder gewiesen. Wichtig sind aber auch Beziehung und Austausch mit anderen jungen Erwachsenen und mit erfahrenen aktiven Alten.
  7. Ältere Erwachsene, deren eigene Kinder schon selbständig sind, sind gern mit ihren Enkeln zusammen und können damit die jungen Erwachsenen entlasten, ebenso durch Hilfe bei der Betreuung von hilfsbedürftigen Alten.
  8. Aktive Alte verstehen sich mit Jugendlichen oft besser als Jugendliche mit den eigenen Eltern, auch Kinder sind oft gern mit aktiven Alten zusammen.
  9. Das Haupt-Bedürfnis der Generation der hilfsbedürftigen Alten ist es, an der Gesamtheit der Generationen-Folge vom Säugling bis zum aktiven Alter teilzuhaben und in ihr so eingebettet zu sein, dass die eigene Gebrechlichkeit keiner Nachkommen-Generation zur übermäßigen Belastung wird. Aber das scheint in „modernen“ Kulturen kaum mehr möglich.

 

2 Der Generationen-Abstand

Zwischen den Generationen, zwischen jung und alt, gab es schon immer Spannungen und gegenseitige Missverständnisse. Das ist nichts Neues. Neu ist allerdings die gegenwärtige Weite dieses Generationen-Abstands im 21. Jahrhundert. Der ist unterdessen so groß geworden, dass aus einzelnen Auseinandersetzungen eine sprachlose Distanz, und aus einzelnen Missverständnissen ein ratloses Unverständnis entstanden ist. Vor allem aus der Sicht der Älteren scheint die Welt der Jüngeren ein unbekanntes Land, unbekannter als die Antarktis oder die Rückseite des Mondes. Was steckt hinter dieser Distanz und diesem Unverständnis?

Zunächst und vordergründig eine Beschleunigung der technischen Entwicklung und eine kommunikative Revolution. Später wird auch von den sozialwen, kulturellen und spirituellen Hintergründen dafür zu reden sein.

2.1 Die technische Entwicklung

Die genannte technische Entwicklung ist allerdings weniger ein technisches Problem, sondern vor allem ein Zeit-Problem. Wesentliche Veränderungen, die das Leben von vielen Menschen stark beeinflussten, gab es immer wieder, aber sie dauerten früher sehr lange Zeiträume, Jahrhunderte manchmal, in denen das alte und das neue Wissen zusammen von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte. Über Jahrzehnte gewonnene Erfahrungen und die dazugehörigen Werkzeuge und Methoden waren der wertvollste Schatz der älteren Generation, der weitergegeben und von den Jüngeren auch weiterverwendet werden konnte. Der Schmied im Dorf konnte seine Werkstatt mit allen Geräten und mit seinem Wissen und seinem Erfahrungsschatz an die nächste und übernächste Generation weitergeben und diese konnten das Erbe wirklich gebrauchen und anwenden.

Diese Generationen-Staffel der Wissensweitergabe funktionierte seit Jahrtausenden, bis sie im zwanzigsten Jahrhundert jäh und für immer abgebrochen wurde. Die technischen Entwicklungen und die Anwendbarkeit der erworbenen Erfahrungen wurden in immer kürzeren Zeitabständen überholt. Das Erfahrungswissen und die Werkstattausstattung z. B., die ein Schmied von seinem Vater und Großvater Anfang des 20. Jahrhunderts übernommen hatte, waren Ende dieses Jahrhunderts an der CNC-gesteuerten Maschine nichts, aber auch gar nichts mehr wert. Und diese „Entwertung des Erfahrungswissens“ geschah auf fast allen Gebieten beruflicher Tätigkeit und entwickelt sich gegenwärtig immer noch in ungebremster Beschleunigung. Die Älteren haben den Jüngeren für ihr berufliches Weiterkommen nichts mehr zu bieten (Ausnahmen gibt es, aber die spielen aufs Ganze gesehen kaum eine Rolle). Der Abstand zwischen Generationen wächst.

2.2 Die kommunikative Revolution

Die oben angesprochene kommunikative Revolution kommt noch hinzu und vertieft und erweitert diesen Generationen-Abstand. Die Erfindung und Verbreitung des Smartphones und der „sozialen Netzwerke“ ermöglicht eine Vielfalt, Weite und Dichte von Kommunikation, wie sie noch nie vorher möglich war und die weit über das hinausgeht, was z. B. die Erfindung des Telefons vor 100 Jahren bewirken konnte. Damals ging es um eine Überbrückung von Entfernungen bei der Kommunikation. Man konnte von Hamburg aus mit der Oma in München reden, als wenn sie direkt neben einem stünde. Die Art der Kommunikation selbst war aber im Wesentlichen die gleiche: Ein Hin und Her von Äußerungen zwischen zwei Gesprächspartnern.

Das hat sich nun grundlegend geändert. Man kommuniziert sehr oft nicht mehr mit einem einzelnen Gegenüber, sondern innerhalb von Netzwerken. Selbstverständlich kann man auch heute noch mit einzelnen Gesprächspartnern telefonieren, aber das eigentlich Neue ist, dass man nun ganz oft mit einer ganzen Gemeinschaft verbunden sein kann, an die man Nachrichten, Meinungen, Bilder usw. in Form von Datenpaketen sendet und von der man ebensolche Antworten empfängt. Das bewirkt eine grundsätzliche Veränderung menschlicher Kommunikation und zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Kommunikation geschieht jetzt sehr oft in einem Raum der (Halb)-Öffentlichkeit. Die vielen Entfernten und weit Verstreuten werden zu Teilnehmern einer simulierten Nah-Kommunikation.

Das hat riesige Vorteile und Chancen, aber auch ebenso große Risiken. Eine solche Vielfach-Kommunikation stellt gewaltige Anforderungen an die Sach- und Sozialkompetenz der Teilnehmer. Und viele sind diesen Anforderungen nicht gewachsen. Vor allem deshalb, weil jede Information, die man weitergibt oder empfängt, nun von einem verwirrenden Gespinst von sozialen Bedeutsamkeiten überlagert ist. Wenn ich nur mit einem Gegenüber rede, kann ich (meistens) in etwa abschätzen, wie der/die andere reagiert und mich darauf einstellen. Wenn ich mit einer ganzen (real weit verstreuten) „Community“ kommuniziere, dann sende ich meine Botschaften wie in eine Nebelwand und ich weiß nie, welches Echo daraus zurückkommen wird. Wer geschickt damit umzugehen vermag, wird zum „Influenzer“ (Beeinflusser) und zum Sprachrohr für jene Zehntausende, die den Eindruck haben, selber nicht mehr ganz mitzukommen mit der Fülle und der Verschiedenheit an Inhalten, Bedeutungen und versteckten Absichten.

Das Ansehen einer Person hängt nun entscheidend an der Art und den Inhalten, am Umfang und an der Qualität ihrer Kommunikation und an der Überzeugungskraft ihrer Selbstdarstellung in ihren Netzwerken. Und an den zählbaren Reaktionen, den „Klicks“ und „Likes“ der „Community“.

Das erfordert völlig veränderte Kompetenzen, wenn man in den entsprechenden Medien überhaupt wahrgenommen werden will und vielleicht sogar noch erfolgreich sein will. Die jüngere Generation lebt in einer Welt, in der die soziale Wertschätzung weniger durch direkte persönliche Begegnungen angelegt und verändert wird, sondern vor allem durch indirekte, aber massenhaft verbreitete digitalisierte Informationen. Das macht jede Kommunikation (oder auch jede Nicht-Kommunikation) zum Risiko-Spiel mit möglicherweise dramatischen Folgen. Was macht es z. B. mit den Selbstgefühl und dem Zugehörigkeits-Empfindenn von Kindern und Jugendlichen, wenn sie damit rechnen müssen, dass jede peinliche Ungeschicklichkeit, die ihnen passiert, von den Gruppenmitgliedern (z. B. den Mitschülern ihrer Klasse) gefilmt werden könnten und sie Minuten später das Ergebnis in der Weltöffentlichkeit des Internet wiederfinden würden?

Diese für viele Jugendlichen sehr belastenden Vorgänge (ich habe sie weiter oben „vordergründig“ genannt) spielen sich vor einem Hintergrund ab, der dem Ganzen eine zusätzliche und grundsätzliche Bedeutung gibt. Neben und hinter der Beschleunigung der technischen Entwicklung und der kommunikativen Revolution steht noch eine andere Realität, die jedoch äußerlich kaum wahrnehmbar ist, im Innern der Gesellschaft aber um so wirksamer: Der Wertehintergrund für die vordergründigen Entwicklungen.

2.3 Der Wertehintergrund

Es geht immer um Wertungen. Und innerhalb eines differenzierten Wertesystems geht es vor allem um die soziale Position der eigenen Person. Wenn wir noch genauer hinsehen, merken wir: Eigentlich geht es weniger um eine feststehende Position der Wertungen meiner Person, als vielmehr um die Entwicklungstendenz einer Vielzahl von Meinungen und Wertungen: Sind sie insgesamt eher aufwertend oder eher abwertend? Geht es aufs Ganze gesehen nach oben oder nach unten? Aber: Hängt diese Tendenz wirklich nur an unseren technischen und kommunikativen Fähigkeiten? Nein, solche Wertungen geschehen immer auf der Grundlage von Grundwerten, die in einer Gesellschaft bewusst oder unbewusst gültig sind und hier liegt ein entscheidendes Problem unserer Gegenwart.

In früheren, kulturell relativ homogenen und von eindeutigen und allgemein anerkannten und gültigen Werthaltungen geprägten Gesellschaften ging es meist um bipolare Spannungsfelder: Richtig oder falsch, erlaubt oder verboten, gut oder böse. Man musste sich entscheiden! Und wer seine Entscheidungen so traf, dass die im Rahmen dessen blieben, was allgemein als richtig, erlaubt und gut galt, konnte damit rechnen, gesellschaftlich anerkannt zu sein. Die Gesamtheit der sozialen Werte und die Bereitschaft, sich darin einzufügen, gab für jeden Einzelnen eine einigermaßen sichere Grundlage, auf der man seine soziale Stellung stabil und dauerhaft aufbauen konnte. Wer sich an die bestimmenden Ordnungen, Regeln und Werte hielt, bewegte sich auf relativ sicheren Grund.

Heute aber leben wir weltweit (abgesehen von abgeschotteten Diktaturen oder entlegenen Kulturinseln, wo kleinere Völker oder Volksgruppen in relativer Isolation leben) nicht mehr in eindeutigen Wertesystemen mit solchen bipolaren Spannungsfeldern (richtig oder falsch, gut oder böse), sondern in einem multipolaren Wertepluralismus. Wir bewegen uns (moralisch gesehen) in einem riesigen „Markt der Möglichkeiten“ mit verlockenden Angeboten (die sich manchmal auch als gefährliche oder sogar tödliche Fallen erweisen können) und mit einem Wirrwarr von konkurrierenden Wertesystemen.

Für die Heutigen geht es nicht mehr darum, sich zwischen richtig oder falsch, gut oder böse zu entscheiden (das geht auch oft gar nicht, weil es dafür keine allgemein gültigen Maßstäbe mehr gibt. Die geltenden Gesetze hinken ja oft jahrelang hinter den rasanten Entwicklungen hinterher, vor allem im IT-Bereich mit den schier unbegrenzten aber auch unheimlichen Möglichkeiten „künstlicher Intelligenz“ usw.). Es geht jetzt eher darum, einen eigenen, für sich selbst einigermaßen stimmigen Weg zu finden, auf dem man möglichst unbeschadet, ja vielleicht sogar erfolgreich durch diesen moralischen „Markt der Möglichkeiten“ und die sich rasant verändernden Rahmenbedingungen der Zeit kommen kann. ).

Den wechselnden Umständen immer wieder neu angepasste Orientierung statt grundsätzliche Entscheidung, das scheint das Gebot der Stunde, (wobei die Grenzen zwischen richtig und falsch, erlaubt oder verboten, gut oder böse für viele eine immer weniger wichtige Rolle spielen).

Viele junge Leute vermeiden es, sich irgendwie dauerhaft festzulegen, weder beruflich noch privat, weder gesellschaftlich noch politisch, weder ethisch noch religiös. Vereine und Institutionen (ob ein Fußballclub oder ein Gesangverein, die Feuerwehr oder eine Kirche), die auf dauerhaftes Engagement von Mitgliedern angewiesen sind, sind in der Gefahr personell auszubluten. Das ist nicht bloßes Desinteresse bei der jüngeren Generation, sondern ein konsequentes Verhalten in einer ungeklärten Werte-Situation, in der zukünftige Entwicklungen kaum absehbar sind. Zeitlich begrenztes Engagement? Ja, vielleicht. Dauerhafte Bindung an eine bestimmte Zugehörigkeit und Herausforderung? Unmöglich! Die heute Jungen wissen, dass sich in ihren Lebensjahren alles verändern wird (na ja, sagen wir: fast alles), das sagen die Experten (aber welchen Experten kann man schon glauben?), aber niemand kann ihnen einigermaßen zuverlässig sagen, wie es sich verändern wird, und wer die Gewinner sein werden und wer die Verlierer im Zukunfts-Lotto.

Trotzdem sehnt man sich, auch und gerade als junger Mensch, nach einer einheitlichen und allgemein anerkannten ethischen Grundlage für das eigene Leben und Handeln (siehe weiter oben die Anmerkungen zur Lebensphase der Jugendlichen). Und weil es die in der Gesamtgesellschaft nicht mehr gibt, sucht man sich eine Kommunikations-Blase, innerhalb derer man auf relativ einheitliche Anschauungen trifft, die man aber, wenn einem die Art oder Richtung nicht mehr passt, auch wieder wechseln kann. Die Kommunikations-Blase ist das technisch leicht zu handhabende und gesellschaftlich leicht zu verwirklichende Ergebnis der Suche nach einer vertrauten Meinungsumgebung (man könnte auch sagen: der Suche nach einer „spirituellen Heimat“), … aber die bitte auf Distanz, denn man weiß ja nie, ob das, woran man da glaubt, nicht doch ein „fake“, eine aufgebauschte Lüge ist. Die „fridays for future“ – Bewegung z. B. ist bei jungen Menschen deshalb so populär, weil hier endlich mal eine Bewegung ist, wo man den Eindruck hat: Ja, hier stehe ich auf der allgemein anerkannt „richtigen“ Seite, für eine eindeutig gute Sache, hier kann ich mich engagieren, ohne dass ich befürchten muss, schon morgen stellt sich raus, dass das doch wieder nur eine Werbekampagne und einträgliche Geschäftsidee eines Weltkonzerns war.

Der unverbindliche Werte-Pluralismus hat konkrete Folgen. In den Medien wird immer wieder die Verwunderung geäußert, dass so viele (nicht nur junge) Menschen offenbar gar kein Gespür mehr haben, was im Miteinander einer Gesellschaft angemessen oder wenigstens noch erträglich ist. Öffentliche Hasskommentare, Wutausbrüche, Tabubrüche, verbale Raserei, Gewalt … woher kommt das? Unerklärlich!

Die selben Medien haben aber in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten genau solche Ausbrüche und Tabubrüche gefeiert, jedenfalls, solange sich das „Kunst“ nannte. Eine gewaltige weltweite Medien- und Unterhaltungsindustrie hat jahrzehntelang aus dem Schauer der Gewalt, der Allgegenwärtigkeit des Verbrechens, aus dem Genuss fremden Leides, den Flammen des Hasses, der Glut der Bosheit, aus der Tragödie ethischer Verirrungen, der Entleerung von „Liebe“ bis auf den Rest beziehungslosen Sex-Gebrauchs, aus dem Schrecken des Krieges, dem Höllenfeuer des Untergangs gewaltige Gewinne geschlagen. Und sie haben das „Kunst“ genannt, um es unangreifbar zu machen, denn die Freiheit der Kunst ist grenzenlos, auch da, wo die angebliche „Kunst“ in Wirklichkeit nur billiger Kommerz ist. Damit hat man das ethischen Fundament der Gesellschaft aufgeweicht, hat es verleumdet als etwas Gestriges, Überholtes, geradezu lächerlich Unmodernes, hat es zerbröselt und aufgelöst.

Nein, man muss sich nicht wundern über all das Negative, das uns begegnet, man muss sich eher wundern, dass nach all der Verächtlichmachung des Positiven, so viel Ehrlichkeit, Anständigkeit, Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, ja manchmal sogar Güte und Hingabe (gerade auch unter den Jüngeren!) doch noch erhalten sind, das ist offensichtlich doch nur schwer ganz kaputt zu kriegen (aber man arbeitet mit aller Kraft daran).

Das Phänomen der ethischen Auflösung ist aber nicht auf die Unterhaltungsindustrie beschränkt. Sie vollzieht sich z. B. auch im beruflichen Umfeld. Man kann heute (Ausnahmen bestätigen die Regel) nicht mehr damit rechnen, anerkannt und wertgeschätzt zu werden, weil man ehrlich, anständig und zuverlässig versucht, das Richtige und Verantwortbare zu tun. Gewiss: Man braucht solche Leute, ja, aber man verachtet sie (von den oberen Ebenen aus gesehen) mehr als dass man sie schätzt. Man wird sie nicht fördern oder gar befördern, denn man braucht sie auf der unteren Ebene, wo die tatsächliche Arbeit geleistet werden muss. Oben, wo die Entscheidungen fallen, wären sie eher störend. Für verantwortliche, leitende Aufgaben wird man sie nicht einsetzen. Sie gelten als nicht „durchsetzungsstark“ und „effizient“ genug: Zu wenig Ellenbogeneinsatz, zu wenig Skrupellosigkeit, zu wenig „Biss“ im Umgang mit Kollegen und Geschäftspartnern.

In den sogenannten „westlichen“ Kulturen hat der Indikator „Erfolg“ einen entscheidenden Einfluss auf die Tendenz der eigenen Wertigkeit. Erfolg (oder was ich anderen als Erfolg darstellen und „verkaufen“ kann) hebt die Tendenz in Richtung Aufwertung; Misserfolg (oder was ich als Misserfolg empfinde oder was mir von anderen als Misserfolg angelastet wird) drückt die Tendenz in Richtung Abwertung. „Erfolg“ ist aber immer weniger von der Kompetenz und Tüchtigkeit der Einzelnen abhängig, sondern immer mehr vom Geschick ihrer „Selbstvermarktung“ im weltweiten System der „sozialen Medien“ und im Nahbereich des beruflichen Umfelds. Und: Mit einer ethisch begründeten und gefestigten Haltung ist „Erfolg“ normalerweise kaum mehr zu haben.

Und diese Diagnose gilt auch im Privatbereich. Auch hier entscheidet oft die  „Selbstdarstellung“ in den „sozialen Medien“ und im Nahbereich der „ Community“ über die „Wertigkeit“ und Stellung der beteiligten Personen und kaum deren Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft …

Die heute jüngere Generation ist in diesem ethischen Mangelzustand aufgewachsen. Und sie versucht, darin einen eigenen gangbaren Weg zu finden. Sie vermeidet (aus gutem Grund!) Entscheidungen und Festlegungen, weil sie überhaupt nicht abschätzen kann, was morgen gelten wird. Die heutige ältere Generation hat noch Restbestände ihres alten Wertefundaments (das allerdings auch Restbestände jener Werte enthält, auf denen sich auch die Todeslager der Vergangenheit aufbauen ließen), ein Fundament jedenfalls, das nicht mehr zu dem „Haus“ passt, in dem die Menschheit im 21. Jahrhundert dauerhaft wohnen könnte. Das heißt: Der Abstand zwischen den Generationen wird wohl noch weiter wachsen.

Allerdings: Bisher war nur vom technischen Erbe und von gesellschaftlichen Werten die Rede und von unserer Hilflosigkeit angesichts des immer rascheren Wandels. Es gibt aber auch Bereiche in den Beziehungen zwischen den Generationen, die sich in Jahrhunderten kaum gewandelt haben. Die Menschen sind ja immer noch die Gleichen, auch wenn sich ihre Lebensbedingungen verändert und sie ihr Welt- und Selbstverständnis den veränderten Umständen angepasst haben. In diesem Zusammenhang kann ich aber jetzt nur auf weiterführende Themen hinweisen, in denen solche Fragen schon eingehender behandelt sind: (Zunächst im Bereich „Grundfragen des Lebens“) die Themen: „Wer bin ich?“  – „Sein und sollen“ – „Die Frage nach dem Sinn“ (und im Bereich „Grundfragen des Glaubens“) die Themen: „Schuld und Vergebung“ –  „AHaBaH – das Höchste ist lieben“.

Vielleicht könnte auf einer so erweiterten Basis ein gegenseitiges Verstehen zwischen den Generationen wachsen, das ausreicht, um gemeinsam auf dem ur-alten aber immer noch tragfähigen Fundament des biblischen Glaubens ein neues zukunftstaugliches Haus zu bauen (siehe auch den Bereich „Vision und Konkretion“).

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