Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Die Frage nach dem Sinn

Beitrag 8: Urbild und Abbild (Bodo Fiebig21. Oktober 2022)

Gott ist Liebe (1. Johannesbrief 4,16). Damit ist alles Wesentliche über Gott ausgesagt. Gott ist der Liebende und er will, dass der Mensch ihm ein Gegenüber sei, das sein eigenes Wesen, die Liebe, widerspiegelt, und mit dem er eine Liebesbeziehung aufnehmen kann. Und (es) sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. (1. Mose 1, 26+27, nach der Übersetzung aus dem Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild”.)

„Zum Bilde Gottes“ bedeutet ja nicht, dass der Mensch dem Aussehen nach Gott nachgebildet wäre. In der ganzen Bibel steht nichts darüber, wie Gott aussieht. Aber die Bibel ist von der ersten bis zur letzten Seite voll davon, was Gott tut, was er aus Liebe tut. Darin also, im Tun der Liebe soll der Mensch ein Abbild, ein Eben-Bild Gottes sein. „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns…“ (1. Johannes 4,12, Luther-Übers.).

Weil „niemand Gott jemals gesehen“ hat, gibt Gott ein sichtbares Gleichnis seines Wesens in die Schöpfung. Das, was den Menschen Gott ähnlich macht, ihm „zum Bilde“, das ist sein Liebender-und-Geliebter-Sein: Mann und Frau, zwei, liebend einander zugetan. Da Gott das Menschsein schaffen wollte als etwas, das ihm ähnlich sei, musste er es als ein Wesen schaffen (als Mann und Frau), das zum Geben und Empfangen von Liebe fähig und bereit ist. Die Liebe zwischen Mann und Frau soll das Zeichen für das Wesen und die Anwesenheit Gottes in der Schöpfung sein. Aber nicht nur dies: Nach dem Willen Gottes soll jedes menschliche Miteinander, soll jede menschliche Gemeinschaft, ja das Menschsein als Ganzes zur Liebesgemeinschaft werden.

Gott schuf den Menschen sich zum Bilde. Durch das Tun der Liebe (nicht in erster Linie durch Liebesgefühle, sondern durch das „handfeste“ Miteinander und Füreinander von Menschen ohne Grenzen von Abstammung, sozialem Rang oder Bildung, Kultur, Weltanschauung usw.) soll Gott selbst, der um der Liebe willen alles Sein ins Dasein rief, in der Schöpfung vergegenwärtigt sein. Nicht nur „bewegtes Nichts“ (siehe den Beitrag „Im Anfang“), sondern wahres göttliches Sein. Und zugleich soll, im Menschen und in der Menschheit als Ganzes, für den Schöpfer ein gottebenbildliches Gegenüber entstehen, ein Gegenüber, das seine Liebe wahrnehmen, annehmen und erwidern kann.

Ziel ist es, diese vergängliche Welt, die zunächst nicht mehr ist als „bewegtes Nichts“, der Vergänglichkeit zu entreißen. Das soll geschehen, indem Unvergängliches in den spirituellen „Ackerboden” (hebr. „Adama“) dieser Welt, d. h. in das Menschsein (hebr. „Adam“), gesät wird und dort keimt und wächst und Frucht trägt. Dieses „Unvergängliche“ war schon vor aller Schöpfung da und wurde zugleich Medium und Anstoß allen Seins. Es ist das Kraftfeld der alles umfassenden und alles erhaltenden Liebe Gottes. Wenn im Leben von Menschen etwas von dieser Liebe zum Vollzug kommt (und sei es noch so menschlich unvollkommen, fragwürdig, schuldbelastet und begrenzt), dann entsteht inmitten dieser vergänglichen Schöpfung etwas, das so unvergänglich und unzerstörbar ist wie Gott selbst.

Im Neuen Testament (und andeutungsweise auch schon im Alten) wird dieses vor aller Schöpfung „präexistente“ Du, wird das potenzielle, noch auf Zukunft angelegte Gegenüber der Liebe Gottes als „Sohn“ bezeichnet, als „Sohn“ in der Beziehung zum „Vater“, der Gott ist (auch dies sind sehr menschliche Sprachbilder, die unseren menschlichen Verstehensweisen entgegenkommen wollen). „Sohn“ heißt hier einfach nur: Ein von Gott gewolltes („gezeugtes“) und geliebtes „Kind“, das für seine Liebe offen ist und sie erwidert – das gilt auch schon im Alten Testament für das Volk Israel.

In dieser „Gottes-Kindschaft“ ist das Zukünftige, die Erfüllung der Verheißung (das heißt: die ganze Menschheit als ersehntes und geliebtes Gegenüber) bei Gott schon gegenwärtig. „Kindschaft“ (als Beziehungsgeschehen, das alle Menschensöhne und -Töchter einschließt) ist hier verstanden als vorläufige, aber um so intensivere „Stellvertretung“ für alles Menschsein, das sich in der entstehenden materiellen und biologischen Schöpfung immer deutlicher und immer konkreter als Gegenüber der Liebe Gottes erweisen soll.

Und diese „Gottes-Kindschaft“ wurde „als die Zeit erfüllt war“ Mensch unter Menschen. (Damals, der damaligen Geisteswelt entsprechend als „Sohn“, aber diese „Gottes-Kindschaft“ hätte in einer anderen gesellschaftlichen Situation auch als „Tochter“ in Erscheinung treten können). Das Entscheidende war, dass im Leben, Reden und Handeln des Juden Jesus aus dem Dorf Nazareth die Liebe als „Ebenbild Gottes im Menschsein“ vollgültig erkennbar und wirksam wurde (und immer noch wird). Und zwar so, dass in der Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen das „Ebenbild Gottes im Menschsein“ immer mehr auch für die ganze Menschheitsgemeinschaft erkennbar und durch Aktionen konkret tätiger Liebe auch nachvollziehbar wird.

Das „Ebenbild“ Gottes kann nur durch Beziehungen gebildet und abgebildet werden, durch Beziehungen, die dem Wesen Gottes entsprechen. Das Wesen Gottes aber ist die Liebe. Jetzt ist es offensichtlich, dass niemals ein einzelner Mensch (und sei es der Frömmste und edelste) „Bild Gottes“ sein kann, sondern immer nur menschliche Gemeinschaft. Nicht im einzelnen Menschen, sondern nur im Menschsein als Vollzug liebender Gemeinschaft kann Gott in dieser Welt abgebildet werden. Aber genau hier liegt das Problem:

In den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte hat sich menschliche Gemeinschaft (in Ehen und Familien, in Gruppen und Parteien, in Völkern und Kulturen) immer wieder als untauglich erwiesen, Abbild der Liebe Gottes zu sein. Sie (die Menschheitsgeschichte) wurde über weite Strecken eine Geschichte von Betrug und Raub, Untreue und Verrat, Verachtung und Erniedrigung, Hass und Ablehnung, Unterdrückung und Ausbeutung, Gewalt und Krieg. Der individuelle und kollektive Egoismus triumphierte allzu häufig über die hingabebereite Liebe.

Gott aber will die Menschheit mit der ihr übertragenen Berufung nicht allein lassen. So wählt er sich inmitten der schon verlorenen Menschheit erst Einzelne, dann Wenige, mit denen er eine besondere Liebesgeschichte beginnt, z. B. mit Adam und Chawwah (Eva), seiner Frau, mit Noah und seiner Familie, dann mit Abraham und seinen Nachkommen, die sich in 12 Stämmen entfalteten …). Er schließt mit ihnen einen Bund der Liebe und des Vertrauens, durch den ein Lebensraum eröffnet wird, in welchem die Geschichte des Menschseins als Liebesgeschichte zwischen Gott und den Menschen und zwischen den Menschen untereinander Wirklichkeit werden kann, exemplarisch und vorbereitend für die ganze Menschheitsfamilie. Auch wenn das Volk Israel in seiner wechselvollen Geschichte diese Berufung nur immer sehr unvollkommen und bruchstückhaft verwirklichen konnte, so bleibt es doch Geschenk Gottes an die Menschheit, in dessen Leben und Überlieferung die Menschheitsberufung erkennbar ist.

Und doch hat sich gezeigt, dass dieses „Geschenk“ nicht ausreicht. Trotz der Erwählung und trotz der Gabe der Gebote und Weisungen für ein Gott-gemäßes Menschenleben konnte Israel doch nicht zum Wegweiser und Retter für die Gott-ferne Menschheit werden. Und so musste Gott selbst seine unbegrenzte und unerschütterliche Liebe ins Menschsein geben, damit sie dort gegenwärtig und erfahrbar sei. In dem Juden Jesus von Nazareth ließ er sich selbst als Liebender erkennen: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. Damit die Menschen zu Gott kommen können, musste Gott zu den Menschen gehen. Nicht als verkleideter Gott in Menschengestalt, sondern in dem Menschen Jesus als Träger jener Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht.

Gott ist Liebe und die Beziehungs-Existenz des Menschseins soll davon ein Abbild sein: … Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde… Wenn man das Miteinander der Menschen anschaut, wenn man wahrnimmt, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie einander lieben und als Liebende miteinander und füreinander leben, dann soll man wenigstens eine Ahnung davon bekommen: So ist Gott. Welch eine Herausforderung, aber auch welch eine Würde des Menschseins!

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