Jedes Menschsein ist zur Gottesebenbildlichkeit bestimmt, aber nicht jedes Menschenleben gelingt automatisch; auch das körperlich vollendetste und kulturell gebildetste nicht. Es muss im Menschsein noch eine Neuschöpfung, eine „Neue Geburt“ geschehen, damit es das werden kann, wozu es eigentlich da ist. Bei aller Zurückhaltung, die uns die Vorläufigkeit und Begrenztheit unseres Forschens und Denkens gebieten, scheint doch dies als Mitte und Angelpunkt der Schöpfung erkennbar: Durch die Liebe und um der Liebe willen wurde das Universum geschaffen. Um der Liebe Raum zu geben und ihr handfeste Wirksamkeit zu ermöglichen, entstand das Leben und wurde das Menschsein gebildet. Aber: Diese Liebe ist nicht selbstverständliche Beigabe des Menschseins, sondern Aufgabe (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben“).
So hat der Schöpfer in jedes Menschsein eine Urkraft hineingelegt, die es über alles bloß biologische Leben und alle kulturelle Menschlichkeit hinaushebt: eine Bereitschaft zur liebenden Hingabe, die weit über den biologischen Fortpflanzungstrieb zur Weitergabe des genetischen Erbes hinausgeht, und die im äußersten Falle sogar den stärksten Impuls jedes Lebewesens überwältigt, nämlich das eigene Leben (und die dazu notwendigen Lebensräume und Lebensmittel) zu erhalten und zu verteidigen. Und das bedeutet: Mit den Bedürftigen teilen, dem Leidenden beizustehen, die Mutlosen zu stärken, und die Schwachen zu schützen, aber auch den Erfolgreichen ihren Erfolg zu gönnen und sich mit den Glücklichen zu freuen, auch wenn sie nicht „zu uns“ gehören.
Diese Urkraft der Liebe kann sich in jedem Menschenleben entfalten, unabhängig von sozialen Rahmenbedingungen, Kultur und Religion, aber es gibt sehr wohl soziale Rahmenbedingungen, kulturelle Entwicklungen und religiöse Vorstellungen, die diese Kraft der Liebe behindern und ersticken oder auch sie fördern und zum Blühen bringen können. Kein Glaube und keine kulturelle Haltung, die gegenseitige Zuwendung, Achtung und Hilfe fördern, sind gering zu schätzen, wie sie auch sonst aussehen und begründet sein mögen. In ihnen hat der Schöpfungsfunke der Liebe Gottes ein wärmendes Feuer entzündet, das zu erhalten sich lohnt (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“, Beitrag „Grundlagen des Glaubens“).
In der biblischen Offenbarung aber hat der Schöpfer selbst sein Herz offenbart. Und im Leben, Reden und Handeln Jesu hat er eine vollkommene Darstellung seiner göttlichen Liebe ins Menschsein gegeben. „Ecce homo!“ Seht, der Mensch! Der Mensch, wie er von Anfang an gemeint war: Unverfälschtes Bild der Liebe Gottes. Im Leben, Reden und Handeln Jesu ist ein vollkommenes Abbild des Wesens Gottes im Menschsein gegenwärtig. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh 14,9). Er ist der Eine, in dem die Bestimmung des Menschseins, Ab-Bild und Eben-Bild der Liebe Gottes zu werden zur Erfüllung und Vollendung gekommen ist. An seinem Vor-Bild soll die Menschheit wahres Menschsein lernen. Und um der Offenbarung und Darstellung dieser Liebe willen ist die ganze Schöpfung gemacht.
Der Sinn des Menschseins erschließt sich in einer fortschreitenden Offenbarung: Gott handelt in den Jahrmilliarden seit der Entstehung des Universums immer wieder, indem er im großen Ganzen ein winzig-kleines Teil erwählt, mit dem er eine Geschichte beginnt, die dem Großen Ganzen einen Sinn gibt, weil es dadurch selbst zum Träger einer Sinn-Geschichte wird:
– Gott setzt die Ereignisse und Entwicklungen in Gang, durch die ein gewaltiges Universum entsteht. (Das war der erste und einfachste Akt der Schöpfung: Die Erschaffung der unfassbaren Massen und Energien des Universums.)
– Gott erwählt sich im unvorstellbar großen Universum einen einzigen Planeten, um auf ihm die Geschichte des Lebens zu beginnen. (Das war schon viel schwieriger: Aus totem Material etwas entstehen zu lassen, das lebt.)
– Er erwählt sich in der millionenfachen Fülle des Lebens ein einziges Wesen, um mit ihm die Geschichte des Erkennens und Verstehens, des Forschens und der geistigen Durchdringung der Welt-Wirklichkeit, auch der Philosophie und der Religionen zu beginnen. (Das war noch schwieriger: Eine geistige Welt hervorzubringen in der materiellen und biologischen Natur.)
– Und dann erwählt sich der Schöpfer in der tausendfachen Fülle der Menschenvölker zuerst Einzelne, dann ein kleines Volk wandernder Hirten (Israel), damit durch sie inmitten des Universums etwas verwirklicht wird, was eigentlich unmöglich scheinen muss: Dass mitten im Geschaffenen der Schöpfer selbst erkennbar wird und vergegenwärtigt: (… und Gott schuf den Menschen sich zum Bilde …)
Ein Bild ist ja immer zum Anschauen und zur Veranschaulichung da, in diesem Fall zur Veranschaulichung Gottes. Und zwar dadurch, dass er (der Mensch) auf der Erde konkret und erfahrbar das verwirklicht, was das Gott-Sein Gottes ausmacht: Die Liebe. Und das inmitten des Lebens, das vom „Kampf ums Dasein“ bestimmt ist und inmitten einer Menschheit, die „von Natur aus“ vom (individuellen oder kollektiven) Egoismus geprägt ist und vom „Kampf um die besten Plätze“ in den Gemeinschaften. Das ist der weitaus schwierigste Teil der Schöpfung: Dass im Liebe-leeren Universum und in der Liebe-blinden Biosphäre der Erde, wo der Kampf ums Dasein tobt, so etwas wie uneigennützige Liebe zum andern (der ja eigentlich sein Konkurrent sein müsste), entstehen kann. Und dieser Teil der Schöpfung ist noch nicht abgeschlossen. Jedes liebevolle Wort, jede helfende Tat, jede treue Zusammengehörigkeit … ist auch heute noch Teil dieses Schöpfungsprozesses, durch den (in der Zielperspektive) eine Menschheitsgemeinschaft als Liebesgemeinschaft und Ebenbild Gottes entstehen soll.
„Ich bin der (einzig) Seiende“ und (so könnte man auch übersetzen) „Ich bin (für dich) da“, das ist der Name (und das Wesen) Gottes (vgl. 2.Mose 3, 12-15). Das heißt: durch die Liebe unter den Menschen ist Gott da, in uns, mit uns, zwischen uns.
Der Name des Antigöttlichen dagegen heißt „Ich-für-mich-gegen-dich“ (bzw. „Wir-für-uns-gegen-euch“). Das ist der Name dessen, was das Menschsein, das Leben und die Schöpfung zerstört – man mag es dann Satan nennen oder Hölle oder das Böse … Es ist die egoistische Alternative zur Liebe, die tödliche Alternative zum Leben, die unmenschliche Alternative zur gottgewollten Menschlichkeit. Und diese egoistische Alternative zur Liebe gibt es in jedem menschlichen Miteinander und sie kann selbst die intimste Beziehung zur Hölle machen.
In dem Juden Jesus aus dem Städtchen Nazareth in Galiläa, in seinem Leben, Reden und Handeln, war die Berufung der Menschen, nämlich die Vergegenwärtigung des Göttlichen im Menschsein vollgültig verwirklicht, wenn auch nur in einem Einzigen. Aber dabei sollte es ja nicht bleiben, sondern durch Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen sollte zuerst das Volk Israel, dann auch nach und nach die ganze Menschheit mit hineingenommen werden in die Fülle der Liebe Gottes (wodurch die bleibende Berufung Israels ergänzt, nicht ersetzt wird, (siehe das Thema „Juden und Christen“).
Als Jesus seine öffentliche Predigt beginnt, verkündigt er das „Reich Gottes“, das „wie im Himmel, so auf Erden“ kommen soll. (siehe das Thema „Dein Reich komme“). Die Liebe, die Lebensordnung des Himmels, kann und soll und muss hier auf dieser Erde in menschlicher Gemeinschaft zum Vollzug und zur Vollendung kommen. Zunächst in Gottes ersterwähltem Volk Israel, dann in der Gemeinschaft der „Herausgerufenen“ (Jesusnachfolger) aus allen Völkern (also in der christlichen Kirche). Dann aber auch (zusammen mit dem ersterwählten Bundes-Volk Gottes, den Juden) in der Gemeinschaft des ganzen (alttestamentlichen und neutestamentlichen) Gottesvolkes. In der Zielausrichtung der Menschheitsberufung schließlich auch durch die Menschheits-Gemeinschaft als Ganzes.
Das messianische Reich der Liebe (und des Friedens, der Freude und der Vollkommenheit durch die Liebe), das Jesus verkündigt, wird die Schöpfung Gottes zur Erfüllung bringen: als einen Ort, in dem Gott selbst gegenwärtig ist durch den zwischenmenschlichen Vollzug seiner Liebe. Dazu muss dieses „Reich“ hier auf dieser Erde Realität werden „wie im Himmel so auf Erden“, nicht in einem sagenhaften, jenseitigen Irgendwo. Zunächst modellhaft vorläufig in aller menschlichen Unvollkommenheit, dann aber vollkommen und vollgültig im Friedensreich des Messias.
Wenn dies geschieht, wird der Sinn und die Bestimmung allen Menschseins erfüllt sein als Abbild und Darstellung der Liebe des Schöpfers im Geschaffenen, als menschlich fassbare Vergegenwärtigung des unfassbaren Gottes in der Welt.
Im messianischen Gottes-Reich, das Jesus verkündet hat und das er bei seinen Wiederkommen zur Erfüllung bringen wird, wird die Liebesgemeinschaft der ganzen Menschheit zur sichtbaren, erfahrbaren und alles Menschsein umfassenden Darstellung der Liebe Gottes und zur Erfüllung des Lebenssinns aller menschlichen Existenz: „Gott schuf das Menschsein sich zum Ebenbild …“ Dies soll aber auch schon jetzt, vorbereitend und vor-abbildend, im Miteinander der „Kinder Gottes“ geschehen.
Es soll auf dieser Erde nicht nur eine weltumspannende Biosphäre entstehen, eine alle Kontinente und Meere umfassende Lebens-Schicht, die rund um die Erde, von Pol zu Pol und von den Tiefen der Ozeane bis in die Höhen der Atmosphäre reicht, und in der alles Leben wechselseitig voneinander abhängt und aufeinander bezogen ist.
Es soll auf dieser Erde nicht nur eine alle Völker, Sprachen und Kulturen umfassende Weltsphäre des Geistes entstehen, die in alle Jahrtausende der Menschheitsgeschichte aller Völker und Kulturen zurückreicht und die sich im Austausch der Gedanken, Bilder und Worte zu einem globalen Gesamtkunstwerk menschlichen Geistes verknüpft und verdichtet.
Es soll auf dieser Erde auch eine die ganze Menschheit umfassende Weltsphäre der Mitmenschlichkeit entstehen, ein Beziehungsgeflecht der Liebe, das alle Völker und Kulturen, alle Sprachen und Rassen, alle Gesellschaftsformen und Lebensgemeinschaften durchdringt, ein weltweites Leuchtmuster des Miteinander und Füreinander, das inmitten der verfinsterten Gegenwart in aller Unvollkommenheit doch schon die gottgewollte Liebeseinheit der Menschheitsfamilie vor-abbildet, ein Weltorganismus der Für-Bitte und des Für-Handelns, ein globaler Blutkreislauf geistlicher und materieller Gaben, durch den das eine und alles überstrahlende Bild der Liebe Gottes im Menschsein trotz aller menschlichen Schwächen anschaubar und lebendig wird.