Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Die Frage nach dem Sinn

Beitrag 5: Die Sinn-Sucher (Bodo Fiebig10. Oktober 2017)

Die Sinn-Frage hat sich viel direkter und folgenreicher auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ausgewirkt, als wir das zumeist annehmen. Freilich: Die Entstehung des Universums und des Lebens (siehe Beitrag 1 „Im Anfang“) wären allein für sich (und für uns) noch nicht Sinn-voll. Was hätten Menschen, die vor Jahrtausenden hier auf der Erde um ihr Leben und Überleben kämpfen mussten, anfangen sollen mit kosmischen Vorgängen und biologischen Entwicklungen, die Jahrmillionen in Anspruch genommen haben?

Trotzdem waren auch damals die Menschen schon Sinn-Sucher. Sie mussten es sein. Die Menschen waren für den „Kampf ums Dasein“ höchst unzureichend ausgestattet: Sie konnten nicht so schnell laufen wie ein Reh, waren nicht so stark wie ein Bär, konnten nicht so gut riechen wie ein Wolf, nicht so gut hören wie ein Luchs, nicht so scharf sehen wie ein Adler, hatten weder Pelz noch Federn für den Winter, weder Hauer noch Klauen für den Kampf … Aber sie hatten Intelligenz und Phantasie. Und damit konnten sie Zusammenhänge erkennen, Kausalketten durchschauen, Zukunftsprojektionen entwerfen, Pläne schmieden und in die Tat umsetzen … Und so gewannen sie nach und nach alle Existenzkämpfe. Die einzigen „Feinde“ die wir Menschen im 21. Jahrhundert noch fürchten müssen (außer ein paar Bakterien und Viren), sind wir Menschen selbst.

Wir Menschen können Sinnzusammenhänge vor allem dann verstehen, wenn sie eine „Geschichte“ erzählen, die uns an unsere eigenen Erfahrungen erinnert: Ereignisse reihen sich aneinander, es vollziehen sich Veränderungen, Neues entsteht… Ein großer Teil unserer Erfahrungswelt besteht aus solchen Abläufen und wir versuchen, in den Vorgängen so etwas wie Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, Ursache-Wirkung-Zusammenhänge wahrzunehmen, Bedeutung und Sinn-Hintergründe zu erschließen, so dass wir Anhaltspunkte haben, wie wir in den aktuellen Situationen sinnvoll leben und handeln können.

Sinn-voll erscheinen uns die welterklärenden Sinngeschichten (Narrative) dann, wenn wir in diesen „Geschichten“ selbst vorkommen, wenn sie uns erklären, wie unser kleines Leben in die großen Zusammenhänge der Welt passt, wenn in allem Geschehen eine Richtung und ein Ziel erkennbar wird. Und: wenn das Neue, das entsteht, als „besser“ empfunden wird als das Frühere. Oder bezogen auf unsere Gegenwart: Wenn das „Bessere“, das im Entstehen ist (oder das zu werden verspricht) das Gegenwärtige (und womöglich noch Unerfreuliche) als notwendigen Vor-Lauf bestätigt und rechtfertigt.

So sind wir ständig auf der Suche nach solchen sinnstiftenden „Geschichten“. Und wo wir in dem, was wir erleben, die Zusammenhänge nicht durchschauen, fangen wir an, selbst Deutungs-Geschichten entwickeln, die uns das Unerklärliche sinnvoll machen sollen (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“, Beitrag 1 „Was ist Religion?“).

Menschen sind notwendigerweise Sinn-Sucher. Die Erfahrungen von Menschen und Menschen-Gemeinschaften in Jahrtausenden haben ihnen gezeigt, welchen großen und überlebenswichtigen Vorteil es bedeutet, wenn sie die Vorgänge und Abläufe in ihrer Umgebung so weit durchschauen, dass sie einigermaßen angemessen und „Sinn-voll“ reagieren können. Und: wenn sie vorausdenken können, wie es wahrscheinlich weitergeht. Denn dann können sie sich vorbereiten auf das Kommende – und (wenn ihre Interpretationen des Vergangenen und ihre daraus abgeleiteten Erwartungen für das Zukünftige zutreffend waren) überleben.

Das gelingt dann am besten, wenn sie nicht nur einzelne isolierte Vorgänge zu verstehen versuchen, sondern wenn sie in den einzelnen Vorgängen größere Zusammenhänge erkennen. Die Fähigkeit, Einzelerfahrungen zu verknüpfen und Zusammenhänge zu erkennen, gab den Menschen in ihrer Umwelt eine gewisse Sicherheit. Und die positiven Erfahrungen, die man damit machte, weckten den Wunsch und das Bestreben, nun alle Facetten der eigenen Weltwahrnehmung in ein umfassendes „Bild“ ihrer Welt und Umwelt einzuordnen und sie dann in einem eigenen (persönlichen und kollektiven) „Weltverständnis“ zusammenfassend und Sinn-gebend zu deuten.

Der Mensch, jeder Mensch, ob Nobelpreisträger oder geistig Behinderter, ist notwendigerweise und unausweichlich ein Sinn-Sucher, das heißt, er ist unheilbar religiös. Die Religionen der Menschheit sind ja aus den erzählten Sinn-Geschichten der Völker und Kulturen entstanden. Und zugleich sucht der „Geschichtenerzähler“ namens „Mensch“ in allen Bereichen, wo er sich hilflos erfährt (und die gibt es heute noch wie vor Jahrtausenden), Hilfe in der Beziehung zu einem Du, das nicht neben, sondern über ihm steht, mächtig zu helfen und zu retten, aber auch mächtig zu richten und und zu strafen. Und so malt er sich aus: Himmel voller Götter, Berge und Bäume voller Dämonen, Sterne, die sein Schicksal bestimmen, kosmische Kräfte, eingefangen in Kristallkugeln, Steinen, Blüten, Handlinien, Karten … oder endlose Folgen von Wiedergeburt und immerwährendes Mühen um Vervollkommnung bis zur endlichen Erlösung.

… Und in vielen dieser „Sinngeschichten“ spielen übermenschliche Mächte, die man hinter den vordergründigen Ereignissen vermutete, eine wichtige Rolle. (Siehe dazu auch im Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“ die Beiträge „Was ist Religion?“ und „Grundlagen des Glaubens“)

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Freilich bringt so ein erklärendes und sinnstiftendes „Welt-Bild“ (so anfanghaft unvollkommen es auch sein mag) auch die Notwendigkeit mit sich, nun auch die eigene Existenz in den Deutungszusammenhang eines als stimmig und positiv empfundenen „Selbst-Bildes“ zu bringen (siehe dazu auch das Thema: „Wer bin ich?“). Der Mensch ist von seiner geistigen Konstitution her dahin ausgerichtet, sein eigenes Selbstverständnis in ein umfassenderes Weltverständnis einzuordnen. Nur dann gewinnt er ein stimmiges Gesamtkonzept, das ihm hilft, auch mit den Widrigkeiten seines Leben „Sinn-voll“ umzugehen. Menschen aller Zeiten und Kulturen fühlen sich gedrängt, ein für sie selbst stimmiges Selbst- und Weltverständnis zu entwickeln, das eine Sinngeschichte erzählt, die ihnen selbst eine bedeutungsvolle und positiv-sinnvolle Rolle in dem Geschehen zuschreibt.

Freilich sind die „Sinn-Geschichten“ der Menschen immer so angelegt, dass sie sich selbst (als Einzelne oder als Kollektiv) als die positiven Sinn-Träger deuten und herausstellen. Und das verschärft oft schon bestehende Konflikte. Wenn ich z. B. die Geschichte der Menschheit als „Rassenkampf“ sehe und mich selbst als „Arier“ empfinde und in den Ariern als „Rasse“ die entscheidenden Kulturträger der Menschheitsentwicklung sehe, welche berufen sind, diese Entwicklung zu einer großartigen und Menschheits-rettenden Vollendung zu führen und zugleich „die anderen“ (z, B. die Juden) als „Menschheits-Schädlinge“, die das Erreichen dieses großen Menschheitszieles verhindern wollen, so kann das ganz konkret zu wahrhaft „unmenschlichen“ Denk- und Handlungsweisen führen. Ebenso, wenn ich z. B. meine, als „Proletarier“ jener „Klasse“ der Menschheit anzugehören, die unaufhaltsam die Zukunft der Menschheit in der „klassenlosen Gesellschaft“ bestimmen und zum Guten führen wird, und „die anderen“ (z. B. die „ausbeuterischen Kapitalisten“) als die „Bösen“, die das „Gute“ verhindern wollen usw.

Aber: Alle Sinn-Deutungen, die sich Menschen selbst geben, erreichen nicht das Ziel, ja nicht einmal die Zielrichtung, die dem Menschsein als Erfüllung seines Daseins vorgegeben sind. Dieses Ziel muss dem Menschen offenbart werden und die Weg-Führung dahin kann er nur als Gnade empfangen. Eine Strecke dieses Wegen soll im folgenden Beiträgen erkennbar werden (siehe den Beitrag 7 „Die Berufung des Menschseins“).

Zunächst soll aber unsere Gegenwart in den Blick genommen werden: Wie sieht es denn da aus mit unserer „Frage nach dem Sinn“?

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