Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Die Frage nach dem Sinn

Beitrag 11: Die „Progressive Weltformel“ (Bodo Fiebig10. Oktober 2017)

Spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein schien es möglich, eine mathematisch-physikalische „Weltformel“ zu entwickeln, eine umfassende „Theorie für alles“. Und die klügsten Köpfe haben darum gerungen, dafür einen gangbaren Weg zu finden. Aber: Selbst wenn dies gelingen sollte, so hätte man eben doch nur eine mathematische Formel für die physikalischen Gegebenheiten der Welt gefunden. Die Welt besteht aber nicht nur aus Mathematik und Physik (obwohl es Mathematikern und Physikern manchmal so scheinen mag). Es gibt auch Realitäten, die mit Mathematik und Physik (bzw. mit Naturwissenschaft allgemein) nicht zu erfassen sind: Manches im Bereich geistiger Vorgänge und Leistungen und vieles im Bereich der Sinnerfüllung des Daseins, der Spiritualität, der Überzeugungen, des Glaubens und der Religion. Die Frage ist: Kann es auch so etwas wie eine materiell-biologisch-geistig-spirituelle „Weltformel“ geben?

Trotz der etwas plakativen Überschrift dieses Beitrags geht es hier selbstverständlich nicht darum, eine „Weltformel“ zu finden, die der der Mathematiker und Physiker gleichwertig oder gar noch überlegen wäre. Es geht hier zunächst einmal nur um eine Zusammenschau der Ergebnisse aus den vorausgehenden Beiträgen und dies in einer formelhaft übersichtlichen Darstellung. „Progressiv“ wird diese „Weltformel“ hier deshalb genannt, weil sie (wie sich gleich zeigen wird) fortschreitend aufeinander aufbaut.

1 Die physikalische Schöpfung

Die ganze physikalische Schöpfung mit allen ihren Galaxien, Sonnensystemen, Planeten …, mit allen ihren „roten Riesen“, „weißen Zwergen“ und „schwarzen Löchern“, und in diesem Universum unsere Erde mit allen ihren Landmassen und Meeren, mit ihrer Lufthülle und ihren Geheimnissen im Erdinnern, mit allen ihren chemischen Elementen und Verbindungen, mit allen ihren Energien und Veränderungspotenzialen wird hier in die folgende Formel gepackt (die „Formeln“ müssen hier immer von unten nach oben gelesen werden):

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Das Universum

Das mag in der physikalischen Diskussion, wo es um Quarks und Quanten, um Strings und Spins geht, etwas antiquiert aussehen, aber für unsere Zwecke genügt es hier.

2 Die biologische Schöpfung

Das Leben ist nicht mehr als Physik und Chemie, aber es ist Physik und Chemie in einer neuen Funktion, in einer völlig neuen „Daseins-Qualität“, die in den Atom-Teilchen und Energie-Quanten der Erde noch nicht vorgegeben ist. Die meisten biologischen Erscheinungen lassen sich auf physikalische und chemische Vorgänge und Gesetzmäßigkeiten zurückführen. Und trotzdem ist die Erschaffung des Lebens ein völlig neuer Schöpfungsvorgang: Tote Materie, Atome und Moleküle wie alle anderen auch, schließen sich zu sehr komplexen Gebilden zusammen: Super-Moleküle, die sehr differenziert für verschiedene „Aufgaben“ innerhalb eines Ganzen einsetzbar sind. Spezielle und differenzierte Gruppen solcher Moleküle verbinden sich zu Zellen, innerhalb derer einzelne Teilbereiche nicht nur verschiedene Funktionen wahrnehmen, sondern deren Bestandteile auch noch so sinnvoll und arbeitsteilig zusammenwirken, dass sie dadurch das Leben der Zelle ermöglichen: Stoffwechsel im Innern und im Austausch mit der Umwelt, Zellteilung und Vermehrung. Diese Zellen wieder verbinden sich (bei mehrzelligen Lebewesen) zu Organen, die wiederum so zusammenarbeiten, dass sie in einem größeren Organismus alle lebensnotwendigen Funktionen übernehmen können.

Dazu brauchen Physik und Chemie in einem lebenden Organismus etwas, was Physik und Chemie aus sich selbst heraus nie hervorbringen könnten: Eine Information (die im Genom jeder Art von Lebewesen „aufgeschrieben“ ist und weitergegeben wird). In zweierlei Weise: Erstens eine Information über die Anordnung der Einzelteile zu einem sinnvollen Ganzen in der einzelnen Zelle und im ganzen Organismus und zweitens eine Information über die Prozessordnung der für das Zusammenwirken der Einzelteile notwendigen Abläufe. Und diese Informationen müssen sich vervielfältigen und vererben können (das heißt, sie müssen sich selbst kopieren und vervielfältigen können; Computer z. B. können ja ungeheuer viel, aber sage mal deinem Computer, dass er sich selbst kopieren und vervielfältigen soll).

Wir können unsere zweite „Formel“ so zusammenfassen:

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Leben

Allerdings: Leben ist auch Entwicklung. So haben z. B. Pflanzen im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte „gelernt“, bestimmte Umweltbedingungen wahrzunehmen (Licht, Wärme, Feuchtigkeit …) und sie können auf manche Wahrnehmungen reagieren: Sie wenden z. B. ihre Blätter dem Licht zu. Noch ausgeprägter ist die Wahrnehmung ihrer Umwelt bei höher entwickelten Tieren. Sie haben ein weiteres Spektrum von Umweltwahrnehmungen, sie entwickeln Instinkte mit Reiz-Reaktions-Schemata usw. Sie können sich z. B. manche Einzel-Wahrnehmungen merken, verknüpfen und zu einer komplexen Umwelterfahrung verdichten. Sie sind lernfähig, können Strategien für die Bewältigung bestimmter Probleme entwickeln usw. Wir können deshalb unsere „Formel“ für das Leben noch etwas erweitern:

+ Umwelterfahrung

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

höher entwickeltes Leben

3 Die Erschaffung des Menschen

So, wie das Leben eine völlig neue Existenz innerhalb der Schöpfung aus Materie und Energie in Raum und Zeit darstellt, so ist der Mensch eine völlig neue Existenz innerhalb der Biosphäre der Erde. Dabei ist das Neue eben nicht einfach eine höhere Intelligenz (das wäre ja gegenüber einem intelligenten Säugetier nur ein gradueller und kein grundsätzlicher Unterschied). Das Neue am Menschsein ist (auf dieser Ebene) seine Teilhabe an der Welterfahrung und am Weltwissen, welche die Menschheit seit Jahrtausenden gesammelt, verarbeitet, gespeichert, weitergegeben und im Austausch der Individuen und Kulturen zu einem geistigen Menschheitsschatz der Welterkenntnis verbunden und verdichtet hat.

+ Welterkenntnis

+ Umwelterfahrung

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Menschsein

Das zweite wirklich Neue am Menschsein ist das Verlangen (und die Fähigkeit), das eigene Leben im Zusammengang mit allen Umwelterfahrungen erinnernd und deutend zu bedenken und die Ergebnisse dieses Bedenkens in einen Sinnzusammenhang zu stellen, der weit über die eigene Existenz hinausreicht. Darin sind auch alle religiösen und weltanschaulichen Bestrebungen mit eingeschlossen.

+ Sinngebung

+ Welterkenntnis

+ Umwelterfahrung

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Menschsein

Damit, so könnte man meinen, wäre die Entwicklung der Schöpfungspotenziale ausgeschöpft und abgeschlossen. Aber das wäre falsch. Die eigentliche und wesentliche Herausforderung des Menschseins und damit auch die eigentliche und wesentliche Entwicklungspotenz der Schöpfung wären damit noch nicht im Blick.

4 Die Berufung des Menschseins

Das Besondere und Eigentliche am Menschsein ist nicht eine höhere Ausprägung von Eigenschaften, die manche Tiere auch haben (Intelligenz, Sozialformen …), auch nicht nur die Fähigkeit, die eigene Existenz deutend in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Das Besondere und Eigentliche am Menschsein ist eine Berufung, die nur die Menschen betrifft (1. Mose 1, 27): Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. Das Menschsein ist dazu berufen, etwas „abzubilden“, was in dieser geschaffenen Welt nie direkt wahrnehmbar sein kann: Gott selbst. Und es ist im Besonderen diese Berufung und Herausforderung, die das Menschsein von allen anderen Lebensformen unterscheidet.

Aber wie soll eine solche Berufung konkret werden im Leben der Menschheit und in unserem persönlichen alltäglichen Leben? Jesus gibt uns die für alle (unabhängig von Rasse, Volk, Kultur …) gültige Antwort (Mt 22, 37): Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Die Liebe zu Gott (die sich im Vertrauen zu Gott in allen Situationen des alltäglichen Leben realisiert), und die Liebe zu den Mitmenschen (die sich im alltäglichen Umgang, im Denken, Reden und Tun in allen Situationen des alltäglichen Leben realisiert) ist das Besondere und Eigentliche im Menschsein (siehe auch das Thema „AHaBaH – das höchste ist lieben“). Wo das verwirklicht wird (auch in aller menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit), entsteht ein Stück „Himmel auf Erden“, eine Vergegenwärtigung Gottes im menschlichen Leben, wird das Menschsein zum „Ebenbild Gottes“. In Jesus von Nazareth ist diese Menschheits-Berufung schon zur vollen Erfüllung gekommen. In ihm ist Gott selbst gegenwärtig im Menschsein.

Die letzte Erweiterung (in Bezug auf den Menschen) unserer „progressiven Weltformel“ muss also heißen:

+ Liebe

+ Sinngebung

+ Welterkenntnis

+ Umwelterfahrung

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Menschsein

Dazu ist das Menschsein geschaffen, dass es ein Wesen gibt, das hier in dieser geschaffenen Welt (durch die Verwirklichung von Liebe im alltäglichen zwischenmenschlichem Umgang) zum Bild und Gleichnis des Schöpfers wird, so dass das, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, seine Liebe, nun auch in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam wird „wie im Himmel, so auf Erden“.

5 Der Sinn der Schöpfung

Damit ist zwar der Sinn des Menschseins erfasst, aber noch nicht der Sinn und das Ziel der Schöpfung insgesamt (für deren Erreichen das Menschsein jedoch eine entscheidende Rolle spielt). Gott hat eine zweiteilige Schöpfung gemacht: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde“ (1. Mose 1,1; siehe dazu auch das Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“). Aber: Himmel und Erde, diese beiden Schöpfungsteile sind völlig verschieden und völlig unvereinbar („inkombatibel“ sagt man heute dazu).

Der „Himmel“, das ist kein Paralleluniversum, kein fernes Märchenland, kein verlorenes Paradies, wo alles, was bei uns dunkel und un-heil erscheint, hell und heil ist, sondern der Himmel, das ist Gott selbst, ist das Licht und die Freude und die Kraft und der Lebensraum der Liebe, der durch die Gegenwart Gottes entsteht.

Die Erde dagegen (und das Wort „Erde“ steht im Anfangssatz der Bibel noch für das ganze Universum, für die ganze materielle Schöpfung), ist von sich aus Liebe-leer; wie sollte denn auch tote Materie lieben können? Gott aber hat sich das Universum nicht als Spielzeug geschaffen, sondern dazu, dass im Geschaffenen etwas wachsen soll, das für ihn zum Gegenüber seiner Liebe werden kann: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde …“ Durch das Menschsein in liebender Gemeinschaft kann es geschehen, dass auch die materielle Schöpfung von Liebe erfüllt sein kann (wie im Himmel, so auf Erden) und sie so „vereinbar“ werden kann mit der Himmelswelt Gottes.

Die Vereinigung der Schöpfung aus Himmel und Erde, dadurch, dass sich das Himmlische (die Liebe) auch im Irdischen vollzieht, und Irdisches die Liebe Gottes erwidert, das ist der Sinn und das Ziel all dessen, was geschieht. Jesus sagt es so (und er zitiert beide Teile seines „Doppelgebotes der Liebe“ aus den „Alten“ Testament):Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ und: „Du sollst deinen Nächsten Lieben wie dich selbst.“ Wo das geschieht (und sei es noch so anfanghaft, unvollkommen und begrenzt), beginnt der Sinn der Schöpfung sich zu erfüllen.

ist die Vereinigung von ich und du, wir und ihr,

von Himmel und Erde, Schöpfer und Schöpfung durch die Liebe.

+ Liebe

+ Sinngebung

+ Welterkenntnis

+ Umwelterfahrung

+ biologische Information

ist Materie und Energie in Raum und Zeit

Der Sinn der Schöpfung

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