Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Die Frage nach dem Sinn

Beitrag 2: Anstoß und Entfaltung des Universums (Bodo Fiebig21. Oktober 2022)

Unvorstellbar: Im Augenblick, als der sogenannte „Urknall“ vor etwa 15 Milliarden Jahren die Entstehung des Universums in Gang setzte, soll (so die gängige Vorstellung) die ganze Materie und Energie des Alls in einem einzigen Punkt konzentriert gewesen sein, von dem aus sich das Universum in einer Explosion von Ur-Energie und Ur-Teilchen in Wellen und Wirbeln mit Lichtgeschwindigkeit nach allen Seiten hin ausbreitete und sich dabei zunehmend in Formen von Energie und Materie manifestierte und strukturierte. Erst im Laufe dieser Ur-Ereignisse entstanden Zeit und Raum und die uns vertrauten Formen von Materie und Energie und damit Zustände, die unserem Denken zugänglich sind. Unsere Fantasie reicht bei Weitem nicht aus, um uns den Vorgang der Welt-Entstehung auch nur einigermaßen konkret vorzustellen.

So geläufig uns die Vorstellung vom „explodierenden Universum“ jetzt im 21. Jahrhundert ist, so begrenzt ist jedoch ihre Brauchbarkeit (das werden wir im Folgenden noch sehen), und es kann bezweifelt werden, dass sie uns wirklich ein geeignetes Bild von der Entstehung unserer Welt vermittelt (und alle unsere Vorstellungen von einem „Uranfang“ sind ja nur Bilder, die versuchen, Unvorstellbares in unsere Denkmöglichkeiten zu übersetzen). Was wir brauchen, ist eine Vorstellung, die uns hilft, die Entstehung unserer Welt zugleich wissenschaftlich „angemessen“ und spirituell „wahr“ zu verstehen, die uns vielleicht sogar helfen kann, uns in unserer Welt zurechtzufinden und heimisch zu werden (siehe auch das Thema „Der Sturm der Erkenntnis“ im Bereich 3 „Grundlagen der Gesellschaft“).

2.1 Der Anstoß des Seins

Folgendes Bild soll uns helfen, das Undenkbare denkbarer zu machen. Stellen wir uns vor: Ein Wasserbecken, die Oberfläche glatt und völlig unbewegt. Diese ruhende Wasseroberfläche soll uns ein (vorläufiges) Bild sein für das „Nicht-Sein ohne Schöpfung“. Nun berühren wir mit der Fingerspitze diese glatte Wasseroberfläche und beobachten, was sich da tut. Wir sehen, wie sich kreisförmige Wellen bilden und vom Ort der Berührung entfernen. „Etwas“ ist entstanden, etwas, das sich deutlich erkennbar von dem unterscheidet, das wir vorhin als „Nicht-Sein ohne Schöpfung“ bezeichnet haben: ein bewegtes und geordnetes System von Wellen, die eine erkennbare Struktur ergeben. Dabei sehen wir: Das Wasser im Becken ist nicht „mehr“ geworden, es ist nichts hinzugekommen, was vorher nicht schon da gewesen wäre, aber es ist nun durch den Impuls unserer Berührung in Bewegung geraten. Es ist also keine quantitative Veränderung geschehen gegenüber dem Zustand vor der Berührung, sondern eine qualitative. Es ist nicht etwas „mehr“ geworden, aber doch „anders“. Und dieses „Etwas“ (die kreisförmigen Wellen und ihre Expansionsbewegung) das ist unzweifelhaft „da“, obwohl es kein „Gegenstand“ ist, den man in die Hand nehmen könnte.

Die Entstehung des Universums wäre also nach dieser Vorstellung keine Ur-Explosion gewesen, sondern ein Ur-Impuls. Wir werden später noch sehen, dass dies eine entscheidende Bedeutung haben könnte. Soweit ein erster bildhaft anschaulicher Vergleich für das, was wir hier „den Anstoß des Seins“ nennen (wir können uns ja Unbekanntes, nie Geschautes nur vorstellen, wenn wir es mit etwas Bekanntem vergleichen).

Ich will noch einen zweiten Vergleich wagen. Der ist zwar weniger anschaulich, aber dafür näher an den physikalischen Gegebenheiten, wie wir sie kennen. Der „Anstoß des Seins“ (also die Entstehung des Universums) kann auch als Umkehr des „zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik“ angesehen werden. Dieser „Hauptsatz“ besagt, dass in einem geschlossenen System die Entropie, also die gegenseitige Angleichung verschiedener Zustände durch gleichmäßige Verteilung, immer fortschreitend ist. Wenn man z. B. einen warmen und einen kalten Gegenstand in eine geschlossene und nach außen isolierte Box gibt, so werden sich die beiden Temperaturen angleichen, bis alle Gegenstände in der Box die gleiche Temperatur haben und alle Energiedifferenzen und damit auch alle Dynamik im Innern der Box gleich Null sind.

Deutlicher noch wird das anhand des „Gay-Lussac-Versuchs“: Zwei Behälter sind miteinander verbunden, aber diese Verbindung ist mit einem Absperrhahn unterbrochen. In dem einen Behälter befindet sich ein Gas mit einem bestimmten Druck, der zweite ist leer (also ganz leer, im Zustand eines Vakuums). Beide Behälter bilden zusammen ein nach außen abgeschlossenes Gesamtsystem. Wenn ich nun den Absperrhahn öffne, strömt das Gas vom gefüllten Behälter in das Vakuum des leeren Behälters, und zwar so lange, bis in beiden Behältern gleicher Gas-Druck herrscht. Am Anfang befand sich das System in einem „Spannungs-Zustand“ (Gasdruck gegen Vakuum), der zum Ausgleich drängte. Am Ende sind alle Spannungen ausgeglichen, alle Dynamik erloschen, jetzt „drängt“ nichts mehr.

Allgemein gesprochen: Die Zustände innerhalb eines nach außen abgeschlossenen Systems laufen auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung bzw. „Durchmischung“ aller Gegebenheiten (z. B. Massen, Energien …) zu. Und das bedeutet, sie laufen auch zu auf ein Abflachen und Erlöschen jeder Dynamik. Wenn man diese physikalische Phänomen auf das „geschlossene“ Gesamtsystem des Universums überträgt, dann spricht man auch vom „Wärmetod des Universums“ als ein „finales thermisches Gleichgewicht“, in dem alle Dynamik erloschen ist.

Aber: Dieser Zustand maximaler Entropie können wir nicht nur als den Zustand am Ende des Universums ansehen, nachdem alle „Dynamik des Seins“ erloschen ist, sondern auch als den Zustand bei der Entstehung des Universums, bevor jede Dynamik begann: Unser Universum ist Schöpfung aus dem Nichts. Und dieses „Nichts“ können wir vergleichen mit einem Zustand totaler Entropie, in dem es noch keine Form von Materie und Energie, Raum und Zeit gab. Und dieses „Nichts“ wird nun aus dem Gleichgewicht gebracht, wird sozusagen „auseinanderdividiert“, ausgespannt in den Spannungszustand zwischen plus und minus. Die Schöpfung macht aus dem Zustand des „Nichts“ „etwas“, das existiert. Es ist wie bei der Saite eines Geige, die im stummen Ruhezustand von „etwas“ berührt wird und in Schwingung gerät. Und wenn alles gut geht, wird diese Schwingung im Verlauf ihrer Existenz eine Melodie hervorbringen, an deren Klang man ihren „Spieler“ (ihren Schöpfer) erkennt.

Den „Urknall“ (und wir merken, wie unpassend dieser Begriff hier eigentlich ist) könnte man auch als eine  Umkehrung zum physikalischen Vorgang zunehmender Entropie verstehen: Also nicht als das Verlöschen einer ehemals vorhandenen Dynamik durch Angleichung aller Seins-Zustände, sondern im Gegenteil als einen „Einbruch von Dynamik“ in einem thermodynamischen Ruhezustand, einen Einbruch, durch den mitten in einem physikalisch toten „Nichts“ „etwas“ in Gang kommt: Und dies, ohne dass dabei jeweils das Gesamtniveau „Null“ verändert wird.

Wir haben Beispiele für dieses „Etwas“ vor Augen:

– In einem ruhenden Wasserbecken mit glatter Oberfläche, entsteht durch einen Berührungs-Impuls ein Wellensystem in dynamischer Bewegung. Trotzdem: Das Wasser im Becken wird nicht mehr durch die Berührung, aber es sind Wellen und Bewegungen entstanden.

– Eine „Ebene“ wird „dynamisiert“ in Berg und Tal, aber die Masse der Erdkugel verändert sich nicht, wenn sich Gebirge auffalten und Berge und Täler geformt werden, aber trotzdem: Es entstehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen.

– Eine „Null“ wird „aufgespannt“ in „plus“ und „minus“, aber die Gesamtsumme auf meinem Konto bleibt unverändert, wenn ich 1000 Euro ausgebe und zugleich 1000 einnehme, aber das „Geschäft“ ist in Gang gekommen.

Freilich, das sind nur vage Andeutungen und Vergleiche für etwas, das unser Verstehen übersteigt. Trotzdem eröffnen sie uns die Möglichkeit, eigene Veranschaulichungen für etwas Nicht-Anschaubares zu entwickeln: Im Augenblick der Weltentstehung wurde ein thermodynamischer Null-Zustand in einen Aufbruch dynamischer Spannung und Veränderung versetzt. Und danach (also jetzt in der kosmischen Zeit, in den Milliarden Jahren seit dem „Weltentstehungs-Impuls“), da geschieht nun ein allmähliches Wieder-Abflachen dieser „Dynamik“ in Richtung auf die „Null-Linie“, in Richtung auf den „thermodynamischen Tod“ des Universums.

Der Schöpfer macht aus der Nulllinie des Seins (wir können auch sagen: Aus dem „Nichts“) ein System von plus und minus (wie die Wellenberge und Wellentäler im Wasserbecken) das sich ausbreitet und alles in Bewegung bringt. Aufs Ganze gesehen ist die Summe aller plus- und minus-Zustände weiterhin Null (so wie alle Wellenberge im Wasser und alle Wellentäler zusammengezählt wieder nur die Nulllinie des Wasserstandes vor der Berührung ergeben). Trotzdem ist jetzt „etwas“ entstanden, voller Spannung zwischen plus und minus, voller Spannung zwischen ja und nein, zwischen Zeit und Ewigkeit, Liebe und Hass, gut und böse … und voller Dynamik.

Und genau das finden wir auch vor, wenn wir die chemisch-physikalischen Grundsubstanzen und Energien des Universums anschauen: Kein plus-Positron ohne minus-Elektron, keine „Quarks“ ohne „Antiquarks“, keine Materie ohne Antimaterie … Jeder Energiezustand in diesem ganzen Universum würde im Zusammentreffen mit seinem Antizustand sich jeweils gegenseitig ver-nicht-igen, weil die Summe ihrer Einzelzustände immer noch „Null“ ist. Und so ist auch die Summe aller Energien des ganzen Universums immer noch Null und Nichts. Die diesjährigen (2022) Physik-Nobelpreise wurden an drei Forscher vergeben, die unter anderen nachweisen konnten, dass Paare von Quanten (den kleinsten Einheiten des Seins) auch auf große Entfernung miteinander in Beziehung stehen und von einander abhängig sind, so dass sie erst im Miteinander von „plus“ und „minus“ ein kleinstes Element der „Wirklichkeit“ ergeben.

Unsere Welt ist eine Schöpfung im Nichts und doch ist die Schöpfung „da“ und real und nicht nur ein Hirngespinst. Und sie ist nicht einfach nur „da“, sondern sie ist im „werden“, ist in einem Prozess der „Weltentwicklung“ in deren Verlauf etwas entstehen soll, das alle Materie und Energie, Raum und Zeit des Universums weit übersteigt (nicht „quantitativ“, sondern „qualitativ“, was damit gemeint ist, darauf werden wir noch zurückkommen).

In unserer Modell-Vorstellung mit dem Wasserbecken (siehe oben) wird der „Zustand ohne Schöpfung“ verglichen mit der Oberfläche eines Wasserbeckens, unberührt und völlig glatt, das heißt (verglichen mit einer aufgewühlten Wasseroberfläche mit Wellen-Tälern und Wellen-Bergen) mit einem Zustand maximaler Entropie. Jedes echte Wasserbecken wird, wenn wir es in Ruhe lassen, nach einiger Zeit diesen Zustand annehmen. Eigentlich und aufs Ganze des Universums gesehen, markiert dieser Zustand das „thermodynamische Ende“ des Universums: Alle dynamischen Prozesse sind zu einem Ende gekommen alles, was plus war (Wellenberge) oder minus (Wellentäler), hat sich auf die Nulllinie angeglichen. Nichts regt sich mehr, weil nichts mehr existiert. Und: Die Schöpfung ist dessen Gegenteil: Sie ist ein dynamischer Anfang von „etwas“, in dem die Potenz einer Entwicklung liegt, die noch viel mehr und viel Großartigeres hervorbringen soll, als „nur“ ein Universum aus Materie und Energie, Raum und Zeit.

Gehen wir noch einmal zurück zur Vorstellung vom Beginn des Seins als einem „Urknall“: Das ganze Wellensystem unseres Gedankenexperiments vom „Wasserbecken“ kommt deutlich erkennbar von einem Punkt her, seinem Ursprungs- und Entstehungspunkt. Und doch wäre es falsch zu sagen, dass es einen Zustand vor der Entstehung des Wellensystems gab, wo alle seine Wellen und Bewegungen in einem Ausgangspunkt konzentriert schon vorhanden gewesen wären und nur auf ihre Expansion warteten (auch die Dimension „Zeit“, also ein „davor“ und „danach“, entstand ja erst mit der Entstehung des Universums). Genau so ist aber meist die (laienhafte) Vorstellung, die man mit den Begriff „Urknall“ verbindet: „Vor“ dem Urknall – so meint man – war alle „Substanz“ des Universums in einem einzigen Punkt konzentriert, eine äußerste Verdichtung von Materie und Energie, die wie eine Art kosmische Bombe explodierte und deren Bruchstücke nun als Galaxien durch einen unvorstellbar weiten Raum fliegen.

Übertragen wir demgegenüber das Bild von den Wellenkreisen im Wasser auf unsere Vorstellung von der Entstehung des Universums, so wird ein verständlicheres Bild erkennbar: Aus einem Anfangsimpuls (der Begriff „Urknall“ ist hier ungeeignet) wäre im Zustand des Nicht-Seins durch einen Impuls „von außen“ eine Realität spannungsvollen Seins entstanden (hier in diesem Beispiel ein System expandierender Wellen-Bewegungen), das sich immer weiter ausbreitet (das kommt den gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Denkmodellen schon sehr nahe, die zwischen wellenförmigen und körperlichen Zustandsformen nicht mehr grundsätzlich unterscheiden). Im Laufe dieser Ausbreitung bildeten sich daraus die uns bekannten Formen von Energie und Materie, Raum und Zeit. Trotzdem wäre das ganze All mit seinen Sternensystemen und Galaxien nicht „mehr“ als der „Zustand ohne Schöpfung“, keine quantitative, sondern eine qualitative Veränderung, so etwas, wie ein in erkennbaren und geordneten Strukturen bewegtes „Nichts“.

Diese Vorstellung mag uns im ersten Augenblick wenig hilfreich erscheinen, hat aber deutliche Parallelen in der modernen Physik: Wenn wir „handfeste“ Materie, z. B. schweres Eisen und harten Stein, aufeinander schlagen, gibt es einen heftigen Zusammenprall und es will uns gar nicht einleuchten, dass dies nicht mehr sein soll, als „bewegtes Nichts“. Für die Atomphysiker aber lösen sich härtester Stein und festester Stahl bei genauerer Betrachtung auf in immer kleinere und ungreifbarere Teilchen, bis sie nur noch substanzlose Energiezustände vor sich haben, die sich jeweils mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in gewisser Zuordnung zueinander befinden. Nur weil wir selbst (materiell gesehen) „Nichtse“ sind, empfinden wir den Zusammenprall des einen bewegten „Nichts“ mit einem zweiten, anders bewegten, als große Erschütterung.

Möglicherweise kann uns das Bild von den Wellenringen im Wasser besser zu einem angemessenen Verständnis von der Entstehung des Universums führen: Die unberührte, glatte Wasseroberfläche symbolisiert uns den „Zustand ohne Schöpfung“, ein raumloses, zeitloses „Nichts“ (so wollen wir es vorläufig nennen; später werden wir sehen, dass diese Bezeichnung den Sachverhalt doch nicht ganz trifft). Die Physik spricht von einem „Quantenvakuum“. Und in diesen „Nullzustand“ ohne Materie und Energie, Raum und Zeit geschieht eine „Berührung“, ein Impuls, der alles verändert. Und genau da beginnt „es“, beginnt alles.

Wir werden sehen: Die Entstehung von Materie und Energie in den Weiten des Alls ist noch nicht das „Eigentliche“ des Schöpfungs-Vorgangs. Mit der „Dynamisierung des Nichts“ ist noch etwas anderes entstanden, was es bis dahin nicht gab: Die Zeit. Die Zeit, in der etwas werden kann und sich verändern kann (eine thermodynamische Nulllinie ist Zeit-los, denn es existiert in ihr kein Zustand, der sich verändern könnte). Der Schöpfer aber macht die Schöpfung als Zeit-Raum, in dem „etwas“ entstehen soll und sich weiterentwickeln kann. Und dieses „Etwas“ ist zunächst einmal das Universum aus Zeit und Raum und Energie und Materie (deren Gesamtzustand trotz aber aller Dynamik, die nun möglich ist, immer noch der Nulllinie entspricht).

Aber damit ist das Eigentliche der Schöpfung noch nicht erkannt und nicht benannt. Die Schöpfung meint und will noch „etwas“, das weit über alles hinausgeht, was in einer Schöpfung aus Materie und Energie, Raum und Zeit eigentlich möglich sein könnte. Und dieses „Etwas“ ist nicht ein quantitatives „Mehr“ (an Raum und Zeit, Energie und Materie), sondern ein qualitatives „Anders“: Raum-los, Zeit-los, ohne Materie und (physikalische) Energie und doch das „Eigentliche“ der Schöpfung, etwas das unabhängig von Zeit und Raum und Energie und Materie existiert. Und um dieses „qualitativ Anderen“ willen hat Gott diese Schöpfung in Gang gesetzt. Was das sein soll, davon werden wir später hören.

2.2 Medium und Impuls der Schöpfung

Bei unserem Wellensystem im Wasser müssen wir unterscheiden zwischen den Wellen und dem Wasser (also zwischen der wellenförmigen Bewegtheit und dem Medium, in dem sich diese Wellen ausbreiten). Ohne ein solches Medium – in unserem Beispiel ohne Wasser – kann es keine Wellen geben.

Ein keines Stückchen Kork, das wir in unserem Wasserbecken auf die bewegte Wasseroberfläche legen, wird von den Wellen an Ort und Stelle auf und ab bewegt, und zeigt uns, dass nur der Bewegungsimpuls der Wellenringe – nicht das Wasser selbst – sich vom Ort der Berührung entfernt. Das Wasser ist hier nur das Medium, in dem der Impuls unserer Berührung zum Schwingen kommt und sich ausbreitet. Jede wellenförmige Schwingung setzt ein Medium voraus, in dem sich die Schwingung ausbreiten kann, und einen Impuls, der diese Bewegung anstößt. Das „Wasser“ (das Medium) unseres Experiments muss also schon „vor“ der Entstehung der Wellen da sein, und der „Anstoß“ (der Impuls), der sie in Bewegung setzt, muss als Berührung von „außen“ dazukommen.

Bei der Entstehung des Universums gab es aber kein „davor“ und kein „außen“, Raum und Zeit entstanden erst mit dem werdenden Universum. Trotzdem musste auch hier ein „Medium“ vorhanden gewesen sein, in das der Anfangs-Impuls zur Entstehung des Universums hineinwirken und in dem er sich ausbreiten konnte und es musste „etwas“ diesen Anfangsimpuls bewirkt haben. Der „Zustand ohne Schöpfung“, den wir bisher mit „Nichts“ bezeichnet haben, muss also doch irgendwie „gefüllt“ gewesen sein. Da Energie und Materie, Raum und Zeit erst im Laufe der Ereignisse nach dem Ur-Anfang entstanden, kommen sie als „Ursache“ nicht in Frage (die Theorie von der „Autopoese“des Seins, also dass das Universum und alles Leben aus sich selbst und durch sich selbst entstanden sind, gleicht dem Märchen von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem „Sumpf“ des Nichtseins zieht). Das heißt, das Medium, in dem sich das Raum-Zeit-Gefüge des Universums ausbreiten konnte, war selbst etwas, das „jenseits“ von Raum und Zeit existierte, und der Anstoß, der es in Bewegung versetzte, kam von einer Wirklichkeit „jenseits“ dieser Welt. Das Medium und der Impuls, also die „Ursachen“ des Universums, stammen beide von einer Wirklichkeit „jenseits“ von Raum und Zeit, Energie und Materie (wobei „jenseits“ hier nicht eine räumliche, sondern eine existenzielle Distanz meint).

Versuchen wir nun, unsere Modellvorstellung von der Entstehung des Universums mit dem biblischen Schöpfungsgedanken in Verbindung zu bringen: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.  So lautet der erste Satz der Bibel, der genau von unserem Thema, von der „Welt-Entstehung“ spricht (1.Mose 1,1). Die Bibel geht also auch, wie die moderne Naturwissenschaft, von einem Anfangs-Ereignis bei der Entstehung des Universums aus. Und sie nennt die „Existenz“, die jenseits von Raum und Zeit, Energie und Materie „da“ war und die Schöpfung in Gang setzte „Gott“. Wobei das Wort „Gott” erst einmal nur ein Begriff der deutschen Sprache ist (übersetzt aus dem hebräischen Ur-Text der Bibel), der bei verschiedenen Menschen inhaltlich ganz verschieden gefüllt sein kann. Hier bezeichnet er jene Existenz, die zugleich „Medium“ und „Anstoß“ der Schöpfung war und ist. Zwei „Kernsätze“, jeweils aus dem „Alten“ und „Neuen“ Testament der Bibel mögen das näher erläutern:

2a) Das Medium:

(1.Johannes 4,16): „Gott ist Liebe“. Damit ist alles Wesentliche über Gott ausgesagt über den Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat (davon werden wir später noch mehr hören). Das heißt, das, was wir vorhin „Zustand ohne Schöpfung“ genannt haben, war nicht einfach nur „Nichts“, sondern es war das Kraftfeld eines Seins jenseits aller materiellen Existenz. Und die Bibel verwendet für dieses „Kraftfeld“, für diese „Urform des Seins“, den Begriff „Liebe“. Und diese „Liebe“, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun auch innerhalb des Geschaffenen eine Bedeutung bekommen: (5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18):Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben … und deinen Nächsten wie dich selbst“. Warum? Damit „etwas“, das weit hinausgeht über die Schöpfung aus Materie und Energie, Raum und Zeit, etwas vom „Wesen“ Gottes, des Schöpfers,  nun anwesend sei, mitten im Geschaffenen. „Liebe“ ist etwas Nicht-Materielles, etwas (im physikalischen Sinn) Nicht-Energetisches, etwas Raumloses, Zeitloses. Sie ist etwas Göttliches. (Man könnte es auch so sagen: Der Begriff „Liebe“ bezeichnet im „spirituellen“ Bereich das, was im physikalischen Bereich „Gravitation“ heißt). Und dieses „Göttliche“ soll nun in der materiell-energetischen, raum-zeitlichen Welt zur „Auswirkung“ kommen. Wie das geschehen könnte, davon wird noch zu reden sein.

Freilich ist dieser sprachliche Begriff „Liebe“ völlig unzureichend für das, was er hier ausdrücken soll. Unsere menschliche Erfahrung mit dem, was wir Liebe nennen, reicht bei Weitem nicht aus, um damit den Inhalt anzudeuten, der hier gemeint ist. Trotzdem haben wir in unserer Sprache (und in allen Sprachen aller Völker der Erde) keine Alternative zur Verfügung. Der Begriff „Liebe“ ist die bestmögliche Annäherung an das mit „Gott“ Gemeinte mit den Mitteln der menschlichen Sprache (siehe dazu auch das Thema 2-5 „AHaBaH – das Höchste ist lieben“).

Der Zustand des Seins im Augenblick der Welt-Schöpfung war nicht eine Verdichtung von Materie und Energie, die dann explodierte und so das Universum entstehen ließ, sondern eine Verdichtung von Beziehung, eine Höchstverdichtung von Liebe als der „Ur-Substanz“ Gottes. Und die Dynamik dieser Liebesbeziehung war es, welche die „Welt-Werdung“ in Gang setzte.

Schon eine Liebesbeziehung zwischen Menschen kann, so zeigt unsere Erfahrung, ein Spannungsfeld von großer Dichte und schöpferischer Kraft erzeugen. Wieviel mehr gilt dies für Gott (JHWH). Er, der Eine und Einzige (vgl. 5. Mose 6,4 – die zentrale Glaubensaussage des Alten Testaments vom Eines- und Einzigsein Gottes) ist in sich Beziehung und Liebe und das Spannungsfeld dieser Liebe ist das „Medium“, in dem der Schöpfungsimpuls (dessen materiell-energetische Erscheinungsform in Raum und Zeit wir „Urknall“ nennen) zur Auswirkung kommt.

2b) Der Impuls:

Im Anfang war das Wort … und alle Dinge sind durch dieses gemacht (Johannes 1, 1+3) oder (1. Mose 1, 3-30): Und Gott sprach … und es geschah so. Das Werden der Schöpfung wird durch den im Wort gefassten Willen Gottes in Gang gesetzt. Der Impuls für die Entstehung des Universums ist das Wort Gottes, das uns in der Schöpfungsgeschichte der Bibel zugleich als Schöpfer-Wille und als Beziehungs-Stiftung (Mann und Frau als „Ebenbild“ Gottes) erscheint.

Wir könnten also unsere Vorstellungen etwa so formulieren (wohl wissend, dass unsere sprachlichen Möglichkeiten, wenn es um „Gott“ (JHWH) geht, noch viel unzureichender sind, als wenn wir den „Urknall“ und die Entstehung des Universums zu beschreiben versuchen): Das „Medium“, in dem Gott die Schöpfung anstößt und in Bewegung setzt, ist (mit menschlichen Worten gesprochen) das Kraftfeld seiner Liebe, und der Impuls, der in diesem Kraftfeld zur Wirkung kommt, ist der Impuls seines Willens durch das „Wort“ (und das meint hier nicht irgendwelche Wörter die sich aus irgendwelchen Buchstaben zusammensetzen), sondern das Wort als „Sinn-Paket“, in dem das, was das Gott-Sein Gottes ausmacht und das seinen Schöpfungs-Willen beschreibt, die Liebe, enthalten ist und zum Ausdruck kommt. Das heißt: Das Universum entstand durch den Impuls des Wortes Gottes, der im Kraftfeld seiner Liebe zum Schwingen kam. Zum ersten Mal wurde „außerhalb“ des Schöpfers etwas, das existiert. Wir nennen dieses „Etwas“ das Universum – Raum und Zeit, Energie und Materie (siehe dazu den letzten Beitrag zu diesem Thema: „Die Sinn-Geschichte des Universums“).

Und jetzt verstehen wir wenigstens ansatzweise, was oben mit den Begriffen quantitatives „Mehr“ und qualitatives „Anders“ gemeint sein könnte: Es geht nicht nur um einen „Urknall“, bei dem Materie, Energie, Raum und Zeit des Universums entstanden. Es geht darum, dass in dieser materiellen Welt „etwas“ vom Schöpfer selbst, etwas, von dem, was wir mit unseren menschlichen Worten “Liebe“ nennen und was das „Wesen“ Gottes ausmacht, nun auch in der geschaffenen materiellen Welt anwesend ist und zur Entfaltung und Auswirkung kommt.

Ohne das Kraftfeld der Liebe Gottes und ohne den Impuls seines Willens, der in diesem Kraftfeld eine „Bewegung“ auslöste, hätte die ganze Schöpfung nicht entstehen können und ohne die immer noch fortbestehende Wirksamkeit seiner Liebe und seines im Wort gefassten Willens würde das ganze Universum augenblicklich und lautlos ins Nichts zurückfallen.

Die „Situation“ bei der Entstehung des Universums war also nicht eine äußerste Verdichtung von Energie und Materie in einem Punkt unvorstellbarer Konzentration, sondern sie bestand, vergleichbar unserem Bild vom Wasserbecken, im Vorhandensein eines „Mediums“, das von einem „Impuls” angestoßen und in „Schwingung” versetzt werden konnte.

Von diesem Anfangspunkt breitete es sich aus und erst dabei entstanden Seinsweisen, die unserem Wahrnehmen und Denken zugänglich sind: Raum und Zeit, Energie und Materie. Dabei haben wir uns den Raum nicht als eine sich nach allen Seiten linear fortsetzende Unendlichkeit vorzustellen, sondern als ein in sich gekrümmtes Ganzes, dessen „Gestalt“ von der Schwerkraft der Massen im Universum abhängig und in sich endlich ist.

2.3 Bewegung und Ziel

Auch dafür (für die in sich gekrümmte und endliche Gestalt des Universums) kann uns das Bild von der Ausbreitung der Wellen im Wasser eine Hilfestellung geben, wenn wir es etwas verändern und erweitern: Stellen wir uns nun nicht ein kleines Wasserbecken vor, sondern einen ganzen Ozean, ja eine ganze Erdkugel, die ganz mit Wasser bedeckt wäre. Ihre Oberfläche wäre dann eine kugelförmig gekrümmte Wasserfläche. Diese wäre ohne Grenze, aber keineswegs unendlich groß. Diese kugelförmige Wasseroberfläche unseres „Modellglobus“ stellen wir uns so vor, dass ihre Oberfläche ganz glatt und unbewegt wäre, ohne Wind, Wellen, Wärmeströmung usw. Sie soll in unserer Modellvorstellung das Medium darstellen, in dem sich das Universum ausbreitet. (Siehe dazu auch die grafischen Darstellungen im  Beitrag 10 „Die Sinn-Geschichte des Universums“)

Wenn nun diese Kugeloberfläche an einer Stelle von einem Impuls getroffen wird, dann breiten sich von da her Wellenkreise aus, die vom „Pol“ des Anfangspunktes bis zum „Äquator“ der äußersten Ausdehnung auseinanderlaufen. Danach würden sie auf der „anderen Seite“ der Kugel wieder zum gegenüberliegenden Pol zusammenlaufen und sich dort in einem Punkt treffen, und es bliebe von ihnen nichts übrig, als der Anfangsimpuls, aus dem alles entstand. In den sich ausbreitenden und wieder zusammenlaufenden Wellenkreisen auf der gekrümmten Oberfläche der Kugel hätten wir ein vereinfachtes Bild für den „gekrümmten Raum“, den unser Universum bildet. (Die physikalisch naheliegende Vorstellung, dass sich die Wellenkreise vom „Gegenpol“ des Anfangsimpulses wieder zum Anfang zurückbewegen würden und von da aus immer wieder zwischen Pol und Gegenpol hin und herlaufen würden, ist hier nicht gemeint. Es handelt sich ja hier um einen bildhaften Vergleich, nicht um eine in allen Aspekten stimmige Beschreibung. Nur die Bewegung vom Anfangsimpuls bis zum „Gegenpol” als End- und Zielpunkt wird hier als „Bild“ für das biblisch offenbarte Schöpfungs- und Heilsgeschehen verwendet.)

Dabei müssen wir beachten: Nicht das „Meer“ der Liebe Gottes selbst, das für unser Forschen und Erkennen unfassbar ist, sondern nur das „Wellensystem“, dessen Schwingungen dieses Meer durchlaufen, ist in unserem Bild das Symbol für unsere sichtbare und greifbare materielle Welt. Und nur der Glaube kann etwas wahrnehmen von der Weite und Tiefe des Meeres der Liebe Gottes, in dem alles materielle Sein nur ein Wellenspiel an der Oberfläche ist.

Gott setzt einen Anfang, indem er im „Medium” des Kraftfeldes seiner Liebe den „Impuls” seines Willens durch das Wort zum Schwingen bringt. Ein Universum entsteht und breitet sich aus. Es läuft wie ein Wellensystem durch dieses Kraftfeld und bildet das in sich gekrümmte Raum-Zeit-Gefüge des Universums. Wenn die Impulswellen des Universums wieder in einem Punkt zusammenlaufen, wird nichts übrig bleiben als das, was schon immer war: das Kraftfeld der Liebe Gottes und der Impuls seines Willens. Das heißt: Die Schöpfung Gottes verschwindet nicht durch eine unendliche Expansion in einem unendlichen Nichts und sie kehrt auch nicht wieder in ihren eigenen Ursprung zurück. Sie geht von einem Anfangspunkt aus und sie läuft auf einen Zielpunkt zu. Anfang und Ziel sind nicht identisch, aber sie haben die gleiche Kraftquelle: die Liebe Gottes.

In diesem Ziel liegt auch der Sinn allen Daseins. Wir werden sehen: Das Dasein kann nur dadurch den Sinn seines Seins finden, dass es durch die Liebe verwandelt wird in eine Existenz, die dem „Sein” Gottes entspricht. Das würde bedeuten, dass im „Wellensystem“ der materiellen Schöpfung etwas ganz und gar Immaterielles, etwas von der „Ursubstanz des Seins“, d. h. von der schöpferischen Liebe Gottes selbst zum Schwingen kommt (siehe dazu die später folgenden Beiträge „Anstoß und Entfaltung der Sinnerfüllung des Menschseins“ undDie progessive Weltformel“). Damit dieser Schöpfungssinn tatsächlich zum Vollzug kommen kann, bringt der Schöpferwille Gottes nun (in der vorhandenen Schöpfung aus Materie und Energie, Raum und Zeit) eine zweite, völlig neue Wirklichkeit hervor: Anstoß und Entfaltung des Lebens (siehe den folgenden Beitrag).

Alle Beiträge zum Thema "Die Frage nach dem Sinn"


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert