Zunächst (bevor wir wir die Frage nach Anstoß und Entfaltung einer Sinnerfüllung des Menschseins angehen), soll soll hier noch kurz unsere Gegenwart in den Blick genommen werden: Wie sieht es denn da aus mit unserer „Frage nach dem Sinn“?
7.1 Die Sinn-Frage in der Gegenwart
Nein, wir stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht am Abgrund angesichts der Frage nach dem Sinn unseres Daseins, sondern eher in einem übel riechenden Morast. Aus der großen Geste der Verneinung (Schopenhauer, Nietzsche …), die im 19. Jahrhundert existenzielles Erschrecken und intellektuelle Begeisterung zugleich hervorrief, ist im 21. Jahrhundert eine müde wegwerfende Bewegung geworden, die ihren Überdruss in bemüht witzigen Pointen portioniert und quotenträchtig vermarktet. Die modernen Nachfolger der großen pessimistischen Philosophen sind die Spaßmacher von heute, die mit wortwitziger Niedertracht (Niedertracht hier ganz wörtlich gemeint als etwas, das immer nach dem Niedrigsten trachtet) sich über alles und jeden lustig machen, alles und jeden in den Dreck ziehen, denen menschliches Erleben und Erleiden, Wollen und Mühen höchstens eine hämisch-abfällige Bemerkung wert sind und denen selbst das Großartigste und Heiligste gerade noch für einen Beifall heischenden Witz taugt.
Wie will man in einem solchen geistigen Milieu die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz sinnvoll stellen? Ich meine, dass dies gar nicht so aussichtslos ist, wie es auf dem ersten Blick scheint, denn das, was da an Komik und Satire über unsere Bildschirme flimmert (Komik und Satire waren einmal zu Zeiten, als es gefährlich war, den Mächtigen unangenehme Wahrheiten direkt zu sagen, eine hohe Kunstform, ein mutiges Mittel, solche Wahrheiten in einer gekonnt verfremdeten Verpackung öffentlich zu darzubieten), ist ja meist nicht das, was es sein will und sein sollte, nämlich eine scharf überzeichnete Karikatur unserer gesellschaftlichen und historischen Wirklichkeit, sondern nur ein ins Lächerliche gezogenes Zerrbild nach den Vorgaben einer geschäftstüchtigen Unterhaltungsindustrie.
Doch, es lohnt sich auch in unserer Gegenwart im 21. Jahrhundert, die Frage nach dem Sinn unseres Daseins zu stellen und die Suche nach einer gültigen Antwort nicht aufzugeben!
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das nach einer Sinndeutung seines Lebens fragen kann und das nach einer Sinndeutung seines Lebens fragen muss. Für kein Tier, auch nicht für den intelligentesten Affen, hat die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens eine Bedeutung. Der Mensch aber kann nicht leben, wenn er nicht eine wenigstens in Ansätzen positive Antwort darauf hat.
Wenn ein Mensch, jung, gesund und schön, dazu reich und mit allem materiellen Wohlstand ausgestattet, sich sagen müsste: „Mein Leben ist gänzlich sinnlos, es gibt niemanden, dem ich etwas bedeute, mein Reden und Handeln wird von niemandem wahrgenommen und mein Bemühen kann nichts bewirken, ob ich lebe oder nicht, hat für niemanden eine Bedeutung“, so wird dieser Mensch auf Dauer nicht weiterleben können und auch nicht wollen.
Viktor Frankl, Begründer einer psychotherapeutischen Richtung, die er „Logotherapie“ nannte, hat „Das Leiden am sinnlosen Leben“ (so der Titel eines seiner Bücher) als Ursache einer „existenziellen Frustration“ ausgemacht, die oft auch tödlich endet. Frankl untersuchte dazu die Ursachen von Suiziden (Selbstmorden) und Siuzid-Versuchen unter US-amerikanischen Studenten. Fast alle gehörten privilegierten Schichten der Bevölkerung an und hatten keine materiellen Sorgen oder medizinischen Probleme. Ihr Problem war, dass sie in ihrem Dasein keinen Sinn erkennen konnten, deshalb machten sie ihrem Leben ein Ende.
Viktor Frankl, hat sein Denken und sein Verstehen menschlichen Daseins (und auch menschlichen Leidens), und seine Wahrnehmung von einem Sinn menschlichen Lebens auch im Leiden) in Jahren der Gefangenschaft als Jude in Konzentrationslagern der Nazis geschult, die er als einer der Wenigen überlebt hat (siehe sein Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen“). Er wusste, wovon er redete, wenn er von „Leben“, „Leiden“ und „Sinn“ sprach, anders als die armseligen Possenreißer unserer Gegenwart.
Das Streben nach einer Sinndeutung des Lebens, die sich einem bloß materialistischen Nützlichkeitsdenken entgegenstellt, ist so tief im Wesenskern jedes Menschen verankert, dass es immer nur vorübergehend von anderen Motiven überdeckt werden kann. Wenn nun diese Sinnorientierung des Menschseins keine anderen Inhalte hätte als die Selbsterhaltung des Individuums und die Erhöhung der eigenen Lebenschancen, die Erhaltung der Sippe und Art und die Ansammlung von „Lebens-Mitteln“ (also von Dingen, die das eigene Leben angenehmer, reicher, sicherer machen sollen), dann würde sie nur als Verstärker der biologischen Selbstregulierungsmechanismen funktionieren. Der Mensch wäre dann nichts anderes als das intelligenteste Tier, das sich durch seine Intelligenz entscheidende Vorteile im „Kampf ums Dasein“ sichern kann. Damit wäre aber die wesentliche Herausforderung des Menschseins noch nicht im Blick.
Wenn wir das Menschsein auf der Suche nach Sinn etwas genauer betrachten, machen wir eine überraschende Entdeckung: Jede Sinnerfüllung menschlichen Lebens ist auf Beziehung hin ausgerichtet. Sie ist niemals bloß im Materiellen und niemals bloß in der Beschäftigung mit sich selbst zu erreichen. „Wem bedeute ich etwas, welche Bedeutung hat mein Leben für das Wohl und Wehe der Menschen um mich her, und wie ordnet sich mein Leben und Tun dem Weg und dem Ziel des Menschseins zu?“ Das sind die Fragen, um die es da geht. Eine zahlenmäßig sehr große und über mehrere Jahrzehnte weitergeführte Langzeitstudie in den USA zur Frage, was Menschen „glücklich“ macht, so dass sie sich und ihr Leben positiv werten können, hat jetzt (September 2023) ihre Ergebnisse veröffentlicht (kurz zusammengefasst): Die Teilnehmer empfanden ihr Leben dann um so positiver, je mehr sie in gute Beziehungen eingebunden waren, bei denen nicht das „Ich“ und die eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen, sondern das „Du“, und das Miteinander von „Ich und Du“, bzw. „Wir und Ihr“.
Freilich kann das Bedürfnis nach guten nicht-egoistisch motivierten Beziehungen einige Zeit lang überdeckt werden vom Streben nach Selbstdarstellung und Selbstüberhöhung, vom Verlangen nach Sex und Selbstbefriedigung, von der Sucht nach Rausch und Raserei, von der Gier nach Macht und Moneten. Im Hintergrund bleibt dies Bedürfnis aber immer gegenwärtig und wirksam.
Die großen Weltanschauungen, Philosophien, Ideologien und Religionen der Menschheitsgeschichte sind Versuche, die eigene Existenz und das eigene Wollen in den Gesamtzusammenhang einer umfassenden Schau der Welt einzupassen, die dem eigenen Sein und Tun einen übergeordneten Sinn und Wert verleiht (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“). Und immer ist dieser Sinn im Letzten das für die Menschen und die Menschheit Gute, ja das letztlich Helfende, das endgültig Erlösende.
Das gilt sogar auch für jene Ideologien, die auf furchtbare Weise gescheitert sind, wie etwa der Nationalismus in Deutschland oder der Kommunismus der Sowjetunion oder Chinas im 20. Jahrhundert. Auch die hatten (jenseits aller Gier nach Selbstüberhöhung und Macht, die da auch immer eine Rolle spielte) nicht vor, einfach nur eine schreckliche und menschenverachtende Diktatur zu schaffen. Die einen wollten das „Edle, Gute und Schöne“ durch die rassische Veredelung der Menschen erreichen und so die Menschheit zum wahren Glück führen (und dazu mussten eben, um das „gute“ Ziel zu erreichen, die „Bösen“ und „Minderwertigen“ ausgerottet werden). Die anderen wollten in der „klassenlosen Gesellschaft“ alle Ausbeutung von Menschen durch Menschen beenden und eine Art selbst-gestaltetes Paradies errichten – auch das ja ein „gutes“ Ziel – (und dazu mussten eben die „Feinde des Guten“, die „Ausbeuter“ und „Kapitalisten“ zumindest „umerzogen“, schließlich aber doch „unschädlich gemacht“ werden). Durch beide Ideologie-Utopien mussten im 20. Jahrhundert viele Millionen von Menschen unvorstellbare Erniedrigung, Verfolgung, Gewalt und Grausamkeit bis hin zum qualvollen Tod erleiden. Die Sinnfrage kann (muss nicht, aber kann) Menschen auch in die tiefsten Abgründe menschlicher Verirrung führen (und zwar dann, wenn sie sich zur Ideologie verengt und vereinseitigt).
Menschen sind deshalb so furchtbar ideologieanfällig, weil sie als denkende Wesen nach dem Sinn seines Lebens fragen müssen. Die Sinn-Frage entreißt ihr „Warum?“ der bloßen Kausalität und ihr „Wozu?“ der bloßen Nützlichkeit. Menschen brauchen und suchen eine Schau und Deutung des Daseins, die es ihnen erlaubt, das eigene Leben in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang ihrer ganzen Umwelterfahrungen einzuordnen. Sie verlangen nach einem sinnhaften Selbst- und Weltbewusstsein, das ihre Erfahrungen erklärt und das Unerklärbare deutet, das ihre Ängste mitträgt und das ihnen zuspricht: „Du bist wichtig und wertvoll, gebraucht und geliebt … trotz allem, was augenscheinlich dagegen sprechen mag.“
Allerdings: Wenn Menschen solche Sinn-erzeugenden „Geschichten“ und „Geschichts-Deutungen“ selbst erfinden, sind sie immer in der Gefahr, in der „Egoismus-Falle“ stecken zu bleiben. Es ist ja auch nur allzu naheliegend, eine Ideologie zu entwickeln, in der wir, wir und nur wir die edle „Herrenrasse“ sind, der von Natur aus die Weltherrschaft zusteht, oder eine Ideologie, in der wir, wir und nur wir die Angehörigen derjenigen „Klasse“ sind, die mit historischer Notwendigkeit den Sieg im „Klassenkampf“ erringen und die Weltherrschaft übernehmen wird (siehe das Thema 5-2 „Die Revolution und ihre Kinder“) oder eine Religion, in der wir, wir und nur wir die Auserwähltem sind, denen von Gott (oder von den Göttern) eine welterlösende und weltbeherrschende Rolle zugedacht ist.
So war das schon seit Jahrhunderten und so ist es auch heute: Das Spiel mit den kollektiven Egoismen der Völker, der Rassen und Klassen, der Kulturen und Religionen (wenn sie sich zu Ideologien verdichten und dann zu universalen spirituellen Heilsversprechen werden), ist schon immer und bis heute für die Machthungrigen dieser Welt der erfolgversprechendste Weg zu unbeschränkter Macht.
Die Suche der Menschen nach dem Sinn seines Daseins kann aber nur dann erfolgreich und menschenfreundlich zugleich sein und bleiben, wenn sie die „Sinn-Geschichte“ des Daseins und des Menschseins eben nicht selbst entwerfen, sondern sie vom Schöpfer des Universums, des Lebens und des Menschseins als Geschenk und Herausforderung empfangen.
Davon wird in den folgenden Abschnitten die Rede sein: „ Die Berufung“, „Urbild und Abbild“ und „Gabe und Aufgabe“.
7.2 Die Berufung
Gott hat die ganze Schöpfung werden lassen, um im Nichts die Materie, um inmitten der vielgestaltigen materiellen Welt das Leben und mitten in der millionenfachen Fülle des Lebens das Menschsein zu schaffen.
Auch damit ist das Ziel der Schöpfung noch nicht erreicht, aber die Ziel-Richtung ist schon erkennbar. Um dieses Zieles willen hat der Schöpfer dem Menschsein noch eine besondere und einzigartige Berufung gegeben: Er soll etwas „darstellen” und „vor-verwirklichen”, das es in dieser irdisch-materiellen Schöpfung eigentlich gar nicht geben kann, an dem aber die Erfüllung und Vollendung der Schöpfungsabsicht Gottes hängt. Und dieses Ziel erreicht der Mensch nicht schon durch seine biologische Existenz und seine geistig-kulturelle Entfaltung. Auch der körperlich Vollendetste und geistig Gebildetste ist von diesem Ziel noch genauso weit (ja, manchmal noch weiter) entfernt wie der körperlich und geistig Behinderte.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das etwas „soll“ (siehe das Thema 1-7 „sein und sollen“ im Bereich „Grundfragen des Lebens“). Jedes andere Lebewesen erfüllt sein Dasein allein schon durch sein Da-Sein im Beziehungsgefüge des Lebens. Es kann seinen Lebenssinn nicht verfehlen. Der Mensch aber hat seinen Lebenssinn als Aufgabe bekommen, die er erfüllen oder verfehlen kann. Aber was ist das für eine Aufgabe, die zugleich zur Sinnerfüllung seines Lebens werden soll? Die Antwort lesen wir schon auf der ersten Seite der Bibel:
Und (es) sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. (1. Mose 1, 26+27, nach der Übersetzung aus dem Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild”.) Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Lebewesen, ein Geschöpf unter Millionen Geschöpfen, und das als Ebenbild, als Vergegenwärtigung und Gegenüber des Schöpfers! Eine unerhörte Zumutung („un-erhört“ meist auch im wörtlichem Sinn): Das Geschöpf „Mensch“ soll etwas sein (oder werden), an dem man „etwas von Gott“ wahrnehmen kann. Gewiss: Ein „Bild“ ist nicht identisch mit dem Original, aber es soll doch so sein, dass man Wesentliches vom Original erkennen kann. Auf diese Weise soll der Mensch „Bild“ Gottes sein.
Aber, wer ist Gott*, und wie ist er? Wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit immer nur so viel von Gott (JHWH) erfassen, und mit den Mitteln menschlicher Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
* Gemeint ist hier der biblisch offenbarte Gott. Und weil es sehr viele, sehr unterschiedliche Gottes-Vorstellungen geben kann, füge ich zur eindeutigen Kennzeichnung manchmal das Zeichen des biblischen Gottesnamens (JHWH) hinzu.
Und Gott (JHWH) hat sich offenbart: in der Schöpfung und den nachfolgenden Ereignissen, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, in der Geschichte der Christenheit und des Judentums, und in der Welt- und Menschheits-Geschichte bis heute (siehe dazu auch das Thema 3-5 „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“ im Themenbereich 3 „Grundlagen der Gesellschaft“).
Aus dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass seine Existenz wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben. In der Bibel klingt das so (z. B. 1. Joh 4, 7-8): „Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.“ Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, sein „Geist“, seine „Person“, seine „Substanz”, seine „Identität”. Und das Menschsein (nicht einzelne Menschen, sondern menschliches Miteinander, ja, in der Zielvorstellung die ganze Menschheit als Lebens- und Liebesgemeinschaft) das soll diese Liebe widerspiegeln als sein „Ebenbild“.
Gott (JHWH) ist Liebe. Damit ist alles Wesentliche über Gott ausgesagt. Gott ist der Liebende und er will, dass der Mensch ihm ein Gegenüber sei, das sein eigenes Wesen, die Liebe, widerspiegelt, und mit dem er eine Liebesbeziehung aufnehmen kann.
„Zum Bilde Gottes“ bedeutet ja nicht, dass der Mensch dem Aussehen nach Gott nachgebildet wäre. In der ganzen Bibel steht nichts darüber, wie Gott aussieht. Aber die Bibel ist von der ersten bis zur letzten Seite voll davon, was Gott tut, was er aus Liebe tut. Darin also, im Tun der Liebe soll der Mensch ein Abbild, ein Eben-Bild Gottes sein. „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns…“ (1. Johannes 4,12, Luther-Übers.).
Weil „niemand Gott (JHWH) jemals gesehen“ hat, gibt Gott ein sichtbares Gleichnis seines Wesens in die Schöpfung. Das, was den Menschen Gott ähnlich macht, ihm „zum Bilde“, das ist sein Liebender-und-Geliebter-Sein (…männlich und weiblich erschuf er sie.) Mann und Frau, zwei, liebend einander zugetan. Da Gott das Menschsein schaffen wollte als etwas, das ihm ähnlich sei, musste er es als ein Wesen schaffen, das zum Geben und Empfangen von Liebe fähig und bereit ist. Im Besonderen soll die Liebe zwischen Mann und Frau das Zeichen für das Wesen und die Anwesenheit Gottes in der Schöpfung sein. Aber nicht nur dies: Nach dem Willen Gottes (soweit er im Gesamtzusammenhang der biblischen Botschaft erkennbar wird) soll jedes menschliche Miteinander, soll jede menschliche Gemeinschaft, ja (in der Zielperspektive der Vollendung) das Menschsein als Ganzes zur Liebesgemeinschaft werden. (Siehe das Thema 2-3 „AHaBaH – Das Höchste ist lieben“)
Die Aufgabe und Berufung des Menschseins ist es also, etwas sichtbar abzubilden und erfahrbar darzustellen, was für menschliche Augen eigentlich immer unsichtbar bleiben müsste und für menschliche Erfahrungen immer unvorstellbar wäre: Gott selbst, als sein „Eben-Bild“. Wenn man die Menschen anschaut, wie sie miteinander leben und wie sie miteinander umgehen und wie sie einander lieben, dann soll man etwas davon wahrnehmen (in aller menschlichen Unvollkommenheit, aber doch erkennbar): So ist Gott (JHWH). Und wir erkennen mit Erschrecken, wie weit wir davon entfernt sind.
In der Liebe zwischen Mann und Frau begegnen sich zwei grundverschiedene Wesen mit je besonderer Eigen-Art und je besonderem Eigen-Wert, die nur durch die gegenseitige Ergänzung ihrer Verschiedenheit zur Einheit werden können. Und diese Liebe soll „Eben-Bild“ Gottes (JHWHes) sein, also sichtbare, erkennbare und erfahrbare Vergegenwärtigung des Schöpfers in seiner Schöpfung.
Freilich will das, was die Bibel mit „Liebe“ meint, keinen Paar-Egoismus, keine einsame (bzw. zweisame) „Liebes-Insel“. Das Sexuelle ist ja immer nur ein kleiner Teil dessen, was die Bibel mit „Liebe“ meint. Da ist das ganze Miteinander und Füreinander gemeint in gemeinsamer Verantwortung für das gemeinsame Leben in der Paar-Gemeinschaft und in der Familie.
Und da ist auch, (darüber weit hinausgehend) jedes Miteinander und Füreinander in allen zwischenmenschlichen Beziehungen von Bedeutung: jede freundliche Geste, jedes gute Wort, jede aufmerksame Anteilnahme, jede helfende Tat, jede heilende Zuwendung, jede schützende Hand, jede rettende Anstrengung …, jedes Mit-Freuen an der Freude eines andern, jedes Mit-Leiden an dessen Leid, jedes liebevolle Nahe-Sein, jede zustimmende Aufmerksamkeit … im Innenraum der Zweierbeziehung ebenso wie nach außen (also auch jedes gemeinsame Eintreten für die Nöte der Zeit in kleineren oder größeren Gemeinschaften). Gott will, dass jedes menschliche Miteinander, ja (in der Zielperspektive der Vollendung), dass die Menschheit als Ganzes zu seinem „Ebenbild“ wird, durch den mitmenschlichen, handgreiflichen, tatkräftigen, anschaubaren, erlebbaren und nachahmbaren Vollzug seiner Liebe.
Gott (JHWH) schuf den Menschen sich zum Bilde. Durch das Tun der Liebe, nicht in erster Linie durch Liebes-Gefühle, sondern durch das „handfeste“ Miteinander und Füreinander von Menschen, ohne Grenzen von Abstammung, sozialem Rang oder Bildung, Sprache, Kultur, Weltanschauung usw. soll Gott selbst, der um der Liebe willen alles Sein ins Dasein rief, in der Schöpfung vergegenwärtigt sein. Nicht nur „bewegtes Nichts“ (siehe den Beitrag „Im Anfang“), sondern wahres göttliches Sein. Und zugleich soll, im Menschen und in der Menschheit als Ganzes, für den Schöpfer ein Gott-ebenbildliches Gegenüber entstehen, ein Gegenüber, das seine Liebe wahrnehmen, annehmen und erwidern kann.
Es genügt dem Schöpfer nicht, ein gigantisches, aber stummes, lebloses und sinnloses Universum zu schaffen, wie ein riesiges universales Feuerwerk, das aufleuchtet, eine Weile in großartigen Farben und Formen brennt und dann verlischt. Nein, Gott macht es anders, ganz anders. Gott macht das Universum als „Bühne“, als Bühne für ein „Spiel der Liebe“. Und wenn dieses Spiel sich entfaltet, will er, der selbst ganz Liebe ist, dadurch im Geschaffenen gegenwärtig sein. Er will sich in seiner Schöpfung ein Gegenüber erwecken, das sein Ebenbild ist, bewegt von der gleichen Urkraft, die das Universum in Gang setzte. Mitten in der materiellen (und damit vergänglichen) Schöpfung soll durch die Verwirklichung von Liebe unvergängliches göttliches Sein entstehen.
7.3 Urbild und Abbild
Gott ist Einer; nichts ist neben oder über ihm. Aber kann denn so ein „Einziges“ in sich selbst „Liebe“ sein; braucht nicht jede Form von Liebe auch ein Gegenüber? Ja, und das ist auch bei Gott so. Die Bibel drückt schon in ihrem ersten Satz das „Einzig-Sein“ Gottes paradoxerweise in einem Plural (Mehrzahl) aus: Bereschit (im Anfang) bara (schuf) Elohim … (Gott …). Aber: „Elohim“ ist eine Mehrzahl-Form. Trotzdem wäre hier die Übersetzung „Götter“ falsch, sondern der, den wir „Gott“ nennen, der ist in sich selbst schon Gegenüber und Liebesbeziehung, und zwar von einer solchen Dichte und Geschlossenheit, wie wir Menschen uns das gar nicht denken können.
In dieser Beziehungs-Existenz Gottes entstand schon vor aller materiellen Schöpfung ein Kraftfeld der Liebe von unvorstellbarer Intensität und Spannung. Eine allerwinzigste Ahnung von dieser Spannungsintensität können wir nachempfinden, wenn uns eine tiefe Sehnsucht nach einem innigst geliebten Menschen umtreibt. Es war diese „Sehnsucht“ (auch dies ein allzu menschlicher Begriff, wenn es um Gott geht), es war diese „Sehnsucht“ Gottes, der in sich selbst ganz Liebe ist, die den Impuls hervorbrachte, dass etwas sei, das seiner Liebe entspricht und antwortet. So gewaltig war dieser Impuls, dass er zur Initialzündung der Schöpfung wurde und die ganze unvorstellbare Weite und Vielfalt des Universums hervorbrachte (siehe Beitrag 2: „Anstoß und Entfaltung des Universums“). Dazu im Folgenden jeweils einige Anmerkungen in den drei Abschnitten „Der Auftrag“, „Der Bruch“ und „Die Hingabe“:
a) Der Auftrag
Dazu ist der Mensch geschaffen (und die ganze übrige Schöpfung, die nötig ist, damit der Mensch existieren kann): Mitten in dieser materiellen (und später auch biologischen) Schöpfung soll nun das Eigentliche und Entscheidende geschehen: In den Jahrmilliarden des Schöpfungsvorgangs, der in einen Wieder-Einbringungs-Vorgang mündet, will Gott in diesem Universum etwas werden lassen, das Raum und Zeit, Energie und Materie übersteigt und überdauert, weil es in die ewige Einheit und Ganzheit seiner Liebe eingefügt werden kann: Ein „Sinn-leeres“ Universum soll erfüllt werden mit Sinn; eine „tote“ Erde soll erfüllt werden mit Leben; eine von sich aus „Lieb-lose“ Natur soll ein Lebewesen hervorbringen, das Gott lieben kann „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Verstand, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst“ (Mt 22).
Darin erfüllen sich Sein und Sollen und Sinn des Menschseins, dass im Menschen (genauer: in seiner Beziehung zu Gott und den Mitmenschen) das Göttliche zum Vollzug kommt (die Liebe, die um des Geliebten willen lebt, redet und handelt). Darin besteht die Berufung des Menschseins, dass ein Ich da ist, das sich seiner selbst als Individuum bewusst ist, und das sich bewusst an ein Du hingibt. Das Göttliche im Menschen ist bewusstes Ich-Sein in Liebe zum Du.
Das ist die „Erfüllung“ der Menschheitsberufung. Das Eigentliche der Schöpfung ist nicht das Universum selbst, sondern das Universum soll die „Bühne“ sein, auf der ein „Spiel“ stattfinden kann, um dessen willen der Schöpfer diese Schöpfung in Gang gesetzt hat.
Man könnte es auch so ausdrücken: Die Liebe Gottes war schon (schon lange vor aller Schöpfung) „schwanger“, war schwanger mit „Menschsein“ als mögliche „Frucht“ und „Kind“ jener Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht. In der Erwartung der „Geburt“ dieses schon innig geliebten „Kindes“, richtet die Liebe Gottes eine „Kinderstube“ ein, wo dieses „Menschen-Kind“ leben und wachsen soll: Ein gewaltiges Universum entsteht und in ihm die winzige „Erde“ als Ort des Lebens. Dort soll das Menschsein die Materie und die Biologie der Schöpfung erfüllen mit Liebe Gottes, so dass sie (diese Liebe) „wie im Himmel, so auch auf Erden“ lebt und wirken kann. Und wenn dann die Liebe Gottes im Menschsein, wenn die (hier in der geschaffenen Welt) „erwachsen“ wird, so dass sie „Tat-sächlich“ Gott liebt von ganzen Herzen, von ganzer Seele und mit ganzem Verstand und ihren Nächsten wie sich selbst“ (so sagt es Jesus, Mt 22, und er fügt hinzu, dass dies die Zusammenfassung des ganzen „Wortes Gottes“ ist), dann soll die „Kinderstube“ des Menschseins im Universum sich öffnen und zur „Bühne“ werden, wo vor den staunenden Augen aller himmlischen und irdischen „Nicht-Blinden“ ein „Schau-Spiel der Liebe“ aufgeführt wird, durch das die ganze Schöpfung zum „Ort der Gottesgegenwart“ wird.
b) Der Bruch
Das „Ebenbild“ Gottes kann nur durch Beziehungen gebildet und abgebildet werden, durch Beziehungen, die dem Wesen Gottes entsprechen. Das Wesen Gottes aber ist die Liebe. Jetzt ist es offensichtlich, dass niemals ein einzelner Mensch (und sei es der Frömmste und Edelste) „Bild Gottes“ sein kann, sondern immer nur menschliche Gemeinschaft. Nicht im einzelnen Menschen, sondern nur im Menschsein als Vollzug liebender Gemeinschaft kann Gott in dieser Welt abgebildet werden. Aber genau hier liegt das Problem: In den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte hat sich menschliche Gemeinschaft (in Ehen und Familien, in Gruppen und Parteien, in Völkern und Kulturen) immer wieder als untauglich erwiesen, Abbild der Liebe Gottes zu sein. Sie (die Menschheitsgeschichte) wurde über weite Strecken eine Geschichte von Betrug und Raub, Untreue und Verrat, Verachtung und Erniedrigung, Hass und Ablehnung, Unterdrückung und Ausbeutung, Gewalt und Krieg. Der individuelle und kollektive Egoismus triumphierte allzu häufig über die Hingabe-bereite Liebe.
c) Die Hingabe
Gott aber will die Menschheit mit der ihr übertragenen Berufung nicht allein lassen. So wählt er sich inmitten der schon verlorenen Menschheit erst Einzelne, dann Wenige, mit denen er eine besondere Liebesgeschichte beginnt (z. B. mit Adam und Chawwah (Eva), seiner Frau, mit Noah und seiner Familie, dann mit Abraham und seinen Nachkommen, die sich in 12 Stämmen entfalteten …). Er schließt mit ihnen einen Bund der Liebe und des Vertrauens, durch den ein Lebensraum eröffnet wird, in welchem die Geschichte des Menschseins als Liebesgeschichte zwischen Gott und den Menschen und zwischen den Menschen untereinander Wirklichkeit werden kann, exemplarisch und vorbereitend für die ganze Menschheitsfamilie. Auch wenn das Volk Israel in seiner wechselvollen Geschichte diese Berufung nur immer sehr unvollkommen und bruchstückhaft verwirklichen konnte, so bleibt es doch Geschenk Gottes an die Menschheit, in dessen Leben und Überlieferung die Menschheitsberufung erkennbar ist.
Und doch hat sich gezeigt, dass dieses „Geschenk“ nicht ausreicht. Trotz der Erwählung und trotz der Gabe der Gebote und Weisungen für ein Gott-gemäßes Menschenleben konnte Israel doch nicht zum „Wegweiser“ und „Entwicklungshelfer“ für die Liebesfähigkeit einer Gott-fernen Menschheit werden. Und so musste Gott selbst seine unbegrenzte und unerschütterliche Liebe (also sich selbst) ins Menschsein geben, damit sie dort gegenwärtig und erfahrbar sei. Damit die Menschen zu Gott kommen können, musste Gott zu den Menschen gehen. In dem Juden Jesus von Nazareth ließ er sich selbst als Liebender erkennen: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (sagt Jesus). Nicht als verkleideter Gott in Menschengestalt, sondern in dem Menschen Jesus als Träger jener Liebe, die das Gott-Sein Gottes (JHWH) ausmacht.
Im Neuen Testament (und andeutungsweise auch schon im Alten) wird dieses vor aller Schöpfung „präexistente“ Du (siehe oben im Abschnitt „der Auftrag“), wird das potenzielle, noch auf Zukunft angelegte Gegenüber der Liebe Gottes als „Sohn“ bezeichnet, als „Sohn“ in der Beziehung zum „Vater“, der Gott ist (auch dies sind sehr menschliche Sprachbilder, die unseren menschlichen Verstehensweisen entgegenkommen wollen). „Sohn“ heißt hier einfach nur: Ein von Gott gewolltes („gezeugtes“) und geliebtes „Kind“, das für seine Liebe offen ist und sie erwidert – das gilt auch schon im Alten Testament und dort speziell für das Volk Israel.
In dieser „Gottes-Kindschaft“ ist das Zukünftige, die Erfüllung der Verheißung (das heißt: die ganze Menschheit als ersehntes und geliebtes Gegenüber) bei Gott schon gegenwärtig. Diese „Kindschaft“, die schon vor aller Zeit und Schöpfung bei Gott existiert, (als Beziehungsgeschehen, das alle Menschensöhne und -Töchter einschließt) ist hier verstanden als vorläufige, aber um so intensivere „Stellvertretung“ für alles Menschsein, das sich dann, in der entstehenden materiellen und biologischen Schöpfung, immer deutlicher und immer konkreter als Gegenüber der Liebe Gottes erweisen soll.
Und diese „Gottes-Kindschaft“ als Gegenüber der Liebe Gottes wurde, „als die Zeit erfüllt war“, in besonderer Weise Mensch unter Menschen. (Damals, der damaligen Geisteswelt entsprechend als „Sohn“, aber diese „Gottes-Kindschaft“ hätte in einer anderen gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Situation auch als „Tochter“ in Erscheinung treten können).
„Wer mich sieht, sieht den Vater“, sagt Jesus, und er drückt damit das aus, was die Berufung jedes Menschseins ist: Erkennbares Ebenbild der Liebe Gottes zu sein. Das Entscheidende war und ist, dass im Leben, Reden und Handeln des Juden Jesus (Jeschuah) aus dem Dorf Nazareth, die „Liebe als Ebenbild Gottes im Menschsein“ vollgültig erkennbar und wirksam wurde (und immer noch wird). Und dieses „Ebenbild der Liebe Gottes“ soll sich, nach Tod und Auferstehung Jesu, immer noch weiter entfalten und zwar so, dass in der Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen das „Ebenbild Gottes im Menschsein“ immer mehr auch für die ganze Menschheitsgemeinschaft erkennbar und durch Aktionen konkret tätiger Liebe auch erlebbar und nachvollziehbar wird.
„Gott (JHWH) ist Liebe“ und die Beziehungs-Existenz des Menschseins soll davon ein Abbild sein: „… Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde …“ Wenn man das Miteinander der Menschen anschaut, wenn man wahrnimmt, wie Menschen miteinander und füreinander leben, wie sie miteinander umgehen und wie sie einander lieben, dann soll man wenigstens eine Ahnung davon bekommen: So ist Gott. Welch eine Herausforderung, aber auch welch eine Würde des Menschseins!
7.4 Gabe und Aufgabe
Jedes Menschsein ist zur Gottesebenbildlichkeit bestimmt, aber nicht jedes Menschenleben gelingt automatisch; auch das körperlich vollendetste und kulturell gebildetste nicht. Es muss im Menschsein noch eine Neuschöpfung, eine „Neue Geburt“ geschehen, damit es das werden kann, wozu es eigentlich da ist. Bei aller Zurückhaltung, die uns die Vorläufigkeit und Begrenztheit unseres Denkens gebieten, scheint doch dies als Mitte und Angelpunkt der Schöpfung erkennbar: Durch die Liebe und um der Liebe willen wurde das Universum geschaffen. Um der Liebe Raum zu geben und ihr handfeste Wirksamkeit zu ermöglichen, entstand das Leben und wurde das Menschsein gebildet. Aber: Diese Liebe ist nicht selbstverständliche Beigabe des Menschseins, sondern Aufgabe (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben“).
So hat der Schöpfer in jedes Menschsein eine Urkraft hineingelegt, die es über alles bloß biologische Leben und alle kulturelle Menschlichkeit hinaushebt: eine Bereitschaft zur liebenden Hingabe, die weit über den biologischen Fortpflanzungstrieb zur Weitergabe des genetischen Erbes hinausgeht, und die im äußersten Falle sogar den stärksten Impuls jedes Lebewesens überwältigt, nämlich das eigene Leben (und die dazu notwendigen Lebensräume und Lebensmittel) zu erhalten und zu verteidigen. Und das bedeutet: Mit den Bedürftigen zu teilen (auch wenn sie nicht „zu uns“ gehören), den Leidenden beizustehen, die Mutlosen zu stärken und die Schwachen zu schützen, aber auch den Erfolgreichen ihren Erfolg zu gönnen und sich mit den Glücklichen zu freuen.
Diese Urkraft der Liebe kann sich in jedem Menschenleben entfalten, unabhängig von sozialen Rahmenbedingungen, Kultur und Religion, aber es gibt sehr wohl soziale Rahmenbedingungen, kulturelle Entwicklungen und religiöse Vorstellungen, die diese Kraft der Liebe behindern und ersticken oder auch sie fördern und zum Blühen bringen können. Kein Glaube und keine kulturelle Haltung, die gegenseitige Zuwendung, Achtung und Hilfe fördern, sind gering zu schätzen, wie sie auch sonst aussehen und begründet sein mögen. In ihnen hat der Schöpfungsfunke der Liebe Gottes ein wärmendes Feuer entzündet, das zu erhalten sich lohnt (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“, Beitrag „Grundlagen des Glaubens“).
In der biblischen Offenbarung aber hat der Schöpfer selbst sein Herz offenbart. Und im Leben, Reden und Handeln Jesu hat er eine vollkommene Darstellung seiner göttlichen Liebe ins Menschsein gegeben. „Ecce homo!“ „Seht, der Mensch!“ Der Mensch, wie er von Anfang an gemeint war: Unverfälschtes Bild der Liebe Gottes. Im Leben, Reden und Handeln Jesu ist ein vollkommenes Abbild des Wesens Gottes im Menschsein gegenwärtig. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh 14,9). Er ist der Eine, in dem die Bestimmung des Menschseins, Ab-Bild und Eben-Bild der Liebe Gottes zu werden, zur Erfüllung und Vollendung gekommen ist. An seinem Vor-Bild soll die Menschheit wahres Menschsein lernen. Und um der Offenbarung und Darstellung dieser Liebe in der Gemeinschaft des Menschseins willen ist die ganze Schöpfung gemacht.
Der Sinn des Menschseins erschließt sich in einer fortschreitenden Offenbarung: Gott handelt in den Jahrmilliarden seit der Entstehung des Universums immer wieder so, indem er im großen Ganzen ein winzig-kleines Teil erwählt, mit dem er eine Geschichte beginnt, die dem „Großen Ganzen“ einen Sinn gibt, weil es dadurch selbst zum Träger einer Sinn-Geschichte werden kann:
- Gott (der Gott der Bibel („JHWH“) setzt die Ereignisse und Entwicklungen in Gang, durch die ein gewaltiges Universum (Das war der erste und einfachste Akt der Schöpfung: Die Erschaffung der unfassbaren Massen und Energien des Alls in Raum und Zeit.)
- Gott erwählt sich im unvorstellbar großen Universum einen einzigen Planeten, um auf ihm die Geschichte des Lebens zu beginnen. (Das war schon viel schwieriger: Aus totem Material etwas entstehen zu lassen, das lebt.)
- Gott erwählt sich in der millionenfachen Fülle des Lebens ein einziges Wesen, um mit ihm die Geschichte des Erkennens und Verstehens, des Forschens und der geistigen Durchdringung der Welt-Wirklichkeit zu beginnen. (Das war noch schwieriger: Eine geistige Welt hervorzubringen in der materiellen und biologischen Natur.)
- Um der Aufgabe gerecht werden zu können, die dem Menschsein innerhalb der Schöpfung zugedacht ist, musste im Menschsein nicht nur eine geistige Entwicklung in Gang kommen, sondern auch eine spirituelle Entwicklung, durch die der Mensch „hellhörig“ werden könnte für das Reden seines Schöpfers (auch wenn das vor-läufig und zunächst in Form von Weltanschauungen, Philosophien, Ideologien und Religionen entfaltet wurde). Solche spirituelle „Hellhörigkeit“ liegt dem Menschen als Teil der Natur noch ferner als die „geistige Welt-Bewältigung“ und deshalb war ihre Erschaffung im Menschsein eine noch größere Herausforderung als alles, was bis dahin schon geschaffen war.
- Und dann erwählt sich der Schöpfer der Welt (als letzten und alles entscheidenden Schöpfungsschritt) in der tausendfachen Fülle der Menschen-Gruppen und Völker zuerst Einzelne, dann ein kleines Volk wandernder Hirten (Israel), damit durch sie inmitten des Universums etwas verwirklicht wird, was eigentlich völlig unmöglich scheinen muss: Dass mitten in der Biosphäre der Erde, wo jedes Lebewesen um Lebens-Raum und Lebens-Mittel, ja immer auch um sein Leben und das Überleben seiner Art kämpfen muss, dass inmitten des Lebens, das vom „Kampf ums Dasein“ bestimmt ist und inmitten einer Menschheit, die „von Natur aus“ vom (individuellen oder kollektiven) Egoismus geprägt ist und vom „Kampf um die besten Plätze“ in den Gemeinschaften, dass da etwas Göttliches im Menschsein Wirklichkeit werden kann: Eine Liebe, die den Nächsten (auch den Fremden, nicht „zu uns“ Gehörenden) liebt und in konkreten Situationen im Miteinander und Füreinander Gutes tut. Nur so kann mitten im Geschaffenen der Schöpfer selbst erkennbar werden: … und Gott schuf den Menschen sich zum Bilde … Und das (ein Menschsein, das zum „Ebenbild“ der Liebe Gottes wird), das ist der weitaus schwierigste Teil der Schöpfung, und der ist (trotz des Jahrtausende-langen Ringens Gottes um ein „Ja“ der Menschen) noch längst nicht vollendet.
Real und „Menschen-möglich“ kann das für Menschen nur werden, wenn sie in enger und persönlicher Beziehung zu ihrem Schöpfer sind und bleiben: Dass im Liebe-leeren Universum und in der Liebe-blinden Biosphäre der Erde, wo der Kampf ums Dasein tobt, so etwas wie uneigennützige Liebe zum andern (der ja eigentlich Konkurrent und Feind sein müsste), entstehen kann. Und dieser Teil der Schöpfung ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Jedes liebevolle Wort, jede helfende Tat, jede treue Zusammengehörigkeit … ist auch heute noch Teil dieses Schöpfungsprozesses, durch den (in der Zielperspektive) eine Menschheitsgemeinschaft entstehen soll, die als Liebesgemeinschaft zum Ebenbild Gottes wird (siehe dazu auch das Thema 2-5 „AhaBaH-das Höchste ist lieben“.
„Ich bin der (einzig) Seiende“ und (so könnte man auch übersetzen) „Ich bin beständig und immer (für dich) da“, das ist der Name (und das Wesen) Gottes (vgl. 2.Mose 3, 12-15). Das heißt: durch die Liebe unter den Menschen ist Gott da, in uns, mit uns, zwischen uns.
Der Name des Antigöttlichen dagegen heißt „Ich-für-mich-gegen-dich“ (bzw. „Wir-für-uns-gegen-euch“). Das ist der Name dessen, was das Menschsein, das Leben und die Schöpfung zerstört – man mag es dann Satan nennen oder Hölle oder das Böse … Es ist die egoistische Alternative zur Liebe, die tödliche Alternative zum Leben, die unmenschliche Alternative zur gottgewollten Menschlichkeit. Und diese egoistische Alternative zur Liebe gibt es in jedem menschlichen Miteinander und sie kann selbst die intimste Beziehung zur Hölle machen.
In dem Juden Jesus aus dem Städtchen Nazareth in Galiläa, in seinem Leben, Reden und Handeln, war die Berufung der Menschen (nämlich die Vergegenwärtigung des Göttlichen im Menschsein vollgültig verwirklicht, wenn auch vorläufig nur in einem Einzigen. Aber dabei sollte es ja nicht bleiben, sondern durch Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen sollte zuerst das Volk Israel, dann auch nach und nach die ganze Menschheit mit hineingenommen werden in die Fülle der Liebe Gottes (wodurch die bleibende Berufung Israels ergänzt, nicht ersetzt wird, siehe das Thema „Juden und Christen“).
Als Jesus seine öffentliche Predigt beginnt, verkündigt er das „Reich Gottes“, das „wie im Himmel, so auf Erden“ kommen soll. Die Liebe (die Lebensordnung des Himmels) kann und soll und muss hier auf dieser Erde in menschlicher Gemeinschaft zum Vollzug und zur Vollendung kommen. Zunächst in Gottes ersterwähltem Volk Israel, dann in der Gemeinschaft der „Herausgerufenen“ (Jesusnachfolger) aus allen Völkern (also in der christlichen Kirche). Dann aber auch (zusammen mit dem ersterwählten Bundes-Volk Gottes, den Juden) in der Gemeinschaft des einen und ganzen (alttestamentlichen und neutestamentlichen) Gottesvolkes. In der Zielausrichtung der Menschheitsberufung schließlich auch durch die Menschheits-Gemeinschaft als Ganzes.
Das messianische Reich der Liebe (und des Friedens, der Freude und der Vollkommenheit durch die Liebe), das Jesus verkündigt, wird die Schöpfung Gottes zur Erfüllung bringen: als einen Ort, in dem Gott selbst gegenwärtig ist durch den zwischenmenschlichen Vollzug seiner Liebe. Dazu muss dieses „Reich“ hier auf dieser Erde Realität werden „wie im Himmel so auf Erden“, nicht in einem sagenhaften, jenseitigen Irgendwo. Zunächst (in unserer Gegenwart) modellhaft vorläufig in aller menschlichen Unvollkommenheit, dann aber vollkommen und vollgültig im Friedensreich des Messias.
Wenn dies geschieht, wird der Sinn und die Bestimmung allen Menschseins erfüllt sein als Abbild und Darstellung der Liebe des Schöpfers im Geschaffenen, als menschlich fassbare Vergegenwärtigung des unfassbaren Gottes in der Welt.
Im messianischen Gottes-Reich, das Jesus verkündet hat und das er bei seinen Wiederkommen zur Erfüllung bringen wird, wird die Liebesgemeinschaft der ganzen Menschheit zur sichtbaren, erfahrbaren und alles Menschsein umfassenden Darstellung der Liebe Gottes und zur Erfüllung des Lebenssinns aller menschlichen Existenz: „Gott schuf das Menschsein sich zum Ebenbild …“ Dies soll aber auch schon jetzt, vorbereitend und vor-abbildend, im Miteinander der „Kinder Gottes“ geschehen:
Es sollte auf dieser Erde nicht nur eine weltumspannende Biosphäre entstehen, eine alle Kontinente und Meere umfassende Lebens-Schicht, die rund um die Erde, von Pol zu Pol und von den Tiefen der Ozeane bis in die Höhen der Atmosphäre reicht, und in der alles Leben wechselseitig voneinander abhängt und aufeinander bezogen ist.
Es sollte auf dieser Erde nicht nur eine alle Völker, Sprachen und Kulturen umfassende Weltsphäre des Geistes entstehen, die in alle Jahrtausende der Menschheitsgeschichte aller Völker und Kulturen zurückreicht und die sich im Austausch der Gedanken, Bilder und Worte zu einem globalen Gesamtkunstwerk menschlichen Geistes verknüpft und verdichtet.
Es soll auf dieser Erde auch eine die ganze Menschheit umfassende Weltsphäre der Mitmenschlichkeit entstehen, ein Beziehungsgeflecht der Liebe, das alle Völker und Kulturen, alle Sprachen und Rassen, alle Gesellschaftsformen und Lebensgemeinschaften durchdringt, ein weltweites Leuchtmuster des Miteinander und Füreinander, das inmitten der verfinsterten Gegenwart in aller Unvollkommenheit doch schon die gottgewollte Liebeseinheit der Menschheitsfamilie vor-abbildet, ein Weltorganismus der Für-Bitte und des Für-Handelns, ein globaler Blutkreislauf geistlicher und materieller Gaben, durch den das eine und alles überstrahlende Bild der Liebe Gottes im Menschsein trotz aller menschlichen Schwächen anschaubar und lebendig wird.
Alle Beiträge zum Thema "Die Frage nach dem Sinn"
- Am Anfang
- Anstoß und Entfaltung des Universums
- Anstoß und Entfaltung des Lebens
- Anstoß und Entfaltung des Menschseins
- Anstoß und Entfaltung des Menschseins 2
- Anstoß und Entfaltung des Menschseins 3
- Anstoß und Entfaltung der Sinnerfüllung des Menschseins
- Die Entscheidung
- Die „Progressive Weltformel“
- Die Sinn-Geschichte des Universums