Was hier mit dem „Gold der Liebe“ gemeint ist, soll mit Hilfe eines bildhaften Vergleichs dargestellt werden: Das „Kunstwerk“ des Schöpfers.
1 Das „Kunstwerk“ des Schöpfers
Nehmen wir an: Ein Künstler möchte ein wertvolles Kunstwerk machen, eine Figur, ein Bildnis aus reinem Gold. Und dazu muss er erst einmal Gold suchen und er geht weit weg und er findet eine einzige Stelle, wo es an einem Bach Gold gibt. Winzige Körnchen nur, aber echtes, reines Gold. Und er fängt nun an, geduldig und sorgsam Körnchen um Körnchen das Gold aus dem tauben Gestein, aus dem Sand und dem Schmutz herauszuwaschen. Das ist eine sehr harte und sehr mühsame und sehr schmutzige Arbeit. Und das dauert sehr, sehr lange. Aber endlich, nach langer, langer Zeit, hat er genug Gold zusammen und er richtet nun eine Werkstatt ein, wo er das Gold bearbeiten kann. Dort, in dieser Werkstatt, gibt es nun kein taubes Gestein mehr, keinen Sand und keinen Schmutz. Alles muss hier ganz rein sein und alles, mit dem er jetzt umgeht, ist echtes, reines Gold. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Das Gold wird geschmolzen und in Formen gegossen, es wird geglättet und poliert und mit großer Kunstfertigkeit fein bearbeitet, bis das Bildnis fertig ist.
Genau das ist es, was Gott mit dieser Welt vorhat. Er will aus ihr, aus dieser ganzen Schöpfung, ein einmaliges, großartiges, unvorstellbar schönes Kunstwerk machen. Die Bibel hat für dieses „Kunstwerk“ verschiedene Namen, sie nennt es das „Paradies“ oder das „Reich Gottes“. Davon redet Jesus vor allem in seinen Geschichten und Gleichnissen. Das hat Gott von Anfang an so gewollt, dazu hat er das ganze Universum gemacht. Und in diesem Kunstwerk (dem Reich Gottes, in dem die Liebe Gottes unter den Menschen zur Vollendung kommt) soll sich das Wesen seines Schöpfers widerspiegeln; wenn man es anschaut, soll man erkennen, wie Gott ist.
Dafür ist nur ein einziges Material geeignet. Das Material für dieses Kunstwerk, in das Gott diese ganze Schöpfung verwandeln will, ist das Gold reiner uneigennütziger Liebe. Denn das Reich Gottes soll ein Reich der Liebe und des Friedens sein. Und die Liebe wiederum ist Ausdruck vom innersten Wesen des Schöpfers, sein Ebenbild.
Aber – – sie ist auch etwas, was es in dieser Welt eigentlich gar nicht geben kann. Das ganze großartige Universum mit seinen schier unendlichen Weiten, seinen Milliarden von Galaxien und Sternensystemen, enthält von sich aus nicht das geringste Körnchen, nicht das kleinste Fünkchen von dem Gold, das Gott für sein Kunstwerk braucht. Von der Liebe, die Gott meint, ist im ganzen Universum nicht eine Spur vorhanden. Die Arbeit, die ihm nun bevorsteht, ist noch viel, viel größer und unendlich mühsamer als die des Goldwäschers an seinem Bach (oder, auf Gott bezogen, viel größer und viel schwieriger als die Erschaffung der Materien und Energien des Universums).
Drei große Arbeitsschritte sind nötig; und die materielle Schöpfung des Kosmos ist selbst schon der erste Schritt auf die Verwirklichung seines Vorhabens hin. Gott schafft das Universum als materielle Voraussetzung für die Gestaltung seines Kunstwerkes. Aber die Steine der Planeten und die glühenden Gaswolken der Sonnen, die so genannten „roten Riesen“, „weißen Zwerge“ und „schwarzen Löcher“ in den unendlichen Weiten des Alls, die können ja nicht lieben! Die sind nicht geeignet als Rohstoff für das große Werk, das Gott vorhat. Und deshalb geht die Schöpfermacht Gottes nun einen nächsten, zweiten Schritt: Auf einem der winzigsten und unbedeutendsten Materieklumpen des Alls, einem Planeten, der um eine der Milliarden Sonnen am Rande einer der Milliarden Galaxien kreist, da beginnt er den zweiten Schritt seines Vorhabens: Er lässt das Leben entstehen und sich ausbreiten und sich in aller Vielgestaltigkeit ausdifferenzieren: Einzeller und hoch entwickelte Lebewesen, Pflanzen und Tiere, Millionen verschiedene Arten und Formen.
Aber auch das Leben enthält von sich aus nicht den kleinsten Funken von dem Gold, das Gott meint und sucht. Das Leben – – will leben! Und das geht nur, wenn dafür anderes Leben stirbt. Kampf ums Dasein, Fressen und Gefressen-Werden, jeder gegen jeden; freilich auch Lebensgemeinschaft und Symbiose, aber trotzdem: Da ist nirgendwo in der belebten Natur auch nur das winzigste Körnchen von der Liebe, die sich in freier Entscheidung und bewusster, uneigennütziger Hingabe einem anderen zuwendet. Auch die Vogelmutter, die bis zur eigenen Erschöpfung Nahrung für ihre Jungen herbeischafft und die trotz der Gefahr für das eigene Leben ihre Brut warnt und zu schützen versucht, wenn die Katze sich nähert, handelt nur aus instinkthaftem Zwang und nicht aus freier Liebe, die auch die Freiheit hätte, sich anders zu entscheiden. Auch das Leben ist nicht geeignet als Rohstoff für das Vorhaben Gottes.
Und deshalb geht der Schöpfer nun den dritten alles entscheidenden Schöpfungsschritt: Er bereitet sich in der millionenfachen Vielzahl des Lebens ein einziges Lebewesen zu, damit es Träger dessen sein kann, was er für sein Kunstwerk braucht: das Gold freier, ungezwungener, selbstloser Liebe. Und die ist gleichzeitig Abbild der Liebe Gottes, ist Ausdruck seines innersten Wesens, ist seine „Substanz“, seine Identität. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn (1.Mose 1, 27). Der Mensch ist in den ganzen Weiten des Universums, in der milliardenfachen Vielzahl der Galaxien und in der millionenfachen Vielzahl der Lebensformen die einzige Existenz, das einzige Wesen, das lieben kann – und soll.
Jesus wird einmal gefragt, was das Höchse sei im Leben eines Menschen, das was bleibt und nicht einmal im Tode verloren geht. Und er antwortet: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt … und deinen Nächsten wie dich selbst (Mt 22, 37-40). Dazu sind wir da, dazu ist das Menschsein und das Leben und die ganze Schöpfung gemacht.
Eine Frage bleibt uns aber noch: Muss das „Gold der Liebe“, das Rohmaterial für die Gestaltung des Himmelreichs, wirklich auf so mühsame und belastende Weise gewonnen werden? Hätte Gott die Liebe nicht, wie alles andere, durch sein Schöpfungswort aus dem Nichts erschaffen können? So sehr uns das entgegenkommen würde; die Antwort ist: Nein. Die Liebe kann nicht Teil des Geschaffenen sein, denn sie ist Teil des Schöpfers, ja Wesenskern des Göttlichen, ja Gott selbst, seine „Substanz“, seine Identität. So wie Gott nicht erschaffen werden kann, so kann es auch die Liebe nicht. Das merken wir ja schon im zwischenmenschlichen Bereich: Liebe kann nicht geschaffen, nicht „produziert” werden, für kein Geld und Gold der Welt! Sie kann sich nur im Miteinander vollziehen, und wo das geschieht, da ist Göttliches im Geschaffenen gegenwärtig. Wenn in der Schöpfung die Liebe (also das Wesen Gottes) gegenwärtig und wirksam sein soll, dann geht das nur (ausschließlich nur), indem die Geschöpfe sie in freier Zuwendung in ihrem Miteinander verwirklichen und so ein „Bild” des Schöpfers in der Schöpfung entsteht. Dazu ist der Mensch geschaffen (1.Mose 1,27: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde …). Und wenn das nicht (oder nicht ausreichend) geschieht, dann ist der „Sinn” des Menschseins verfehlt und die Schöpfung bedeutungslos und verloren. Es sei denn, dass etwas Ungeheuerliches, etwas ganz Unmögliches geschieht: dass sich die Liebe Gottes selbst ins Geschaffene begibt und dort als Mensch unter Menschen Teil der leidenden und sterbenden Schöpfung wird. So ist es geschehen: Durch den „Sohn“ (auch das ein Bildwort, das unseren menschlichen Verstehensweisen entgegenkommen will) ist die Liebe des „Vaters“ vollgültig gegenwärtig in dieser Welt. Und: Sie ist dem alltäglichen Leiden und Sterben in dieser Welt preisgegeben. Von diesem „Senfkorn” der Gottesgegenwart aus soll dann eine „Neuschöpfung” des Menschseins beginnen, in der die Liebe zum Lebenselement der Gemeinschaft wird. Das ist die eigentliche Berufung des Judentums und der weltweiten Jüngergemeinde Jesu (siehe das Thema „Juden und Christen“).
Gott lieben von ganzem Herzen und den Nächsten wie sich selbst, so erfüllt sich die Schöpfungsberufung des Menschseins. Die Liebe zu Gott zeigt sich vor allem im gelebten Vertrauen, wenn sie sich in Situationen der Ungewissheit, in der Krise, in der Zerreißprobe der Anfechtung als echt erweist. Anders ist es beim Nächsten. In der hebräischen Bibel (3. Mose 19,18) heißt es wörtlich: Du sollst deinem Nächsten (Dativ) lieben wie dich selbst. Eine sprachliche Konstruktion, die es im Deutschen gar nicht gibt. Aber sie drückt aus, dass es bei der Liebe zum Nächsten in erster Linie auf das Tun ankommt, nicht auf Gefühle. Dem Nächsten Gutes tun, ihm Liebesdienste erweisen, das ist es, was Gott von uns erwartet. (Siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“, Beitrag 4 „AHaBaH“ – Gemeinschaft der Liebe“).
Das heißt, Gott verlangt nicht, dass wir gegenüber allen Menschen Liebesgefühle entwickeln, vor allem gegenüber den uns unsympathischen, das geht nämlich gar nicht und wäre ein furchtbarer Krampf, wenn wir es dennoch versuchen würden. Aber dem Nächsten Gutes tun und ihm Liebesdienste erweisen, das geht und das sollen wir – sogar bei den uns Unsympathischen, und sogar bei denen, die uns selbst wehgetan haben. Die Liebeszuneigung zu Gott findet ihren glaubwürdigsten Ausdruck in den Liebestaten für den Mitmenschen.
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© 2017 Bodo Fiebig „Das Gold der Liebe“ Version 2017-10
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