Jetzt kommt der Abschnitt, den viele am liebsten ganz rausstreichen würden: Die Frage nach einem „Sinn-Bewusstsein“. „Das Universum, unsere Erde, das Leben und wir Menschen sind Ergebnisse von zufälligen Entwicklungen“, sagen viele. „In dem allen gibt es keinen Sinn und deshalb kann es auch kein Sinn-Bewusstsein geben.“ Das gibt sich sehr modern und aufgeklärt, ist aber oft nur Ausdruck einer Bequemlichkeit, die nicht bereit ist, genauer nachzufragen, ob diese einfache Erklärung auch wirklich eine angemessene Erklärung der Realitäten in unserer Welt ist. Beginnen wir solches Nachfragen da, wo es am einfachsten scheint: Fragen wir nach dem Verhältnis von Materie und Sinn.
Dabei können wir nicht (wie bei den Beiträgen „Welt-Bewusstsein“ und „Selbst-Bewusstsein“) der Folge „Wahrnehmung – Verständnis – Erkenntnis – Bewusstsein“ nachgehen, denn die bewusste Sinn-Orientierung von Menschen und Gemeinschaften folgt eigenen Regeln.
1 Materie und Sinn
„So ein Quatsch“, sagen manche „Materie kann niemals einen Sinn haben, auch nicht die Materie eines menschlichen Körpers. Sogar die Materie unseres Gehirns funktioniert nach den Gesetzmäßigkeiten aller Materie und bringt so alle Funktionen des Denkens hervor. Und alle diese Funktionen sind Reaktionen auf Reize von außen oder auf Bedürfnisse von innen oder auf zufällige Ereignisse im Molekular-Zusammenhang der Gehirnmaterie, aber sie sind niemals Ausdruck einer Sinnhaftigkeit.“
Das klingt für viele überzeugend. Aber ist damit wirklich schon alles geklärt?
Versuchen wir eine erste Annäherung an das Verhältnis von Materie und Sinn durch einem Vergleich mit einem weniger komplexen Gegenstand: Nehmen wir dazu ein Buch, einen spannenden Krimi vielleicht oder eine rührende Liebesgeschichte. Materiell betrachtet ist dieses Buch ein hübsches Ding: Mit einem farbigen Einband, mit Seiten aus gutem Papier, die Buchstaben aus schwarzer Druckfarbe … Aber (soweit, denke ich, sind wir uns alle einig), wir werden auch bei der allergenauesten chemischen Analyse des Papiers und der Druckfarbe nicht herausfinden, ob eine herausgerissene Seite nun aus dem Krimi oder aus der Liebesgeschichte stammt. Die Geschichte, die das Buch erzählt, ist offensichtlich nicht durch seine Materie vorgegeben. Es gibt weder im Papier noch in der Druckfarbe so etwas wie eine Krimi-Materie, die sich chemisch-materiell von einer Liebesgeschichten-Materie unterscheiden ließe. Ob der Krimi wirklich spannend ist oder ob die Liebesgeschichte wirklich rührend wirkt, das hängt nicht von der materiellen Zusammensetzung des Papiers und der Druckfarbe ab, sondern vom literarischen Können der Autoren (also von denen, die den Sinngehalt des Buches geschaffen haben). Offenbar gibt es doch Realitäten (wie der Sinn-Inhalt des Buches), die zwar mit Hilfe von materiellen Mitteln (in diesem Fall Papier und Druckfarbe) dargestellt und weitergegeben werden, die aber nicht in der Materie selbst schon enthalten sind.
Ähnliches können wir auch beim Menschen wahrnehmen. Der Mensch ist materiell gesehen gar nichts Besonderes und er besteht, so gesehen, aus nichts anderem als alles andere in seiner Umgebung auch. „Staub von der Erde“ ist er, sagt die Bibel* schon vor Jahrtausenden in verblüffender Nüchternheit. Und das stimmt ja auch: Die Atome, aus denen der Körper eines Menschen zusammensetzt ist, sind die gleichen, wie beim „Staub von der Erde“ oder beim Dreck auf der Straße. Und biologisch gesehen funktionieren seine Organe genau so wie bei anderen Lebewesen auch, und seine Gene sind denen von Säugetieren, einem Hund zum Beispiel oder einer Maus, sehr ähnlich. Wo sollte da ein „Ich“ sein, das sich seiner als einmaliges Individuum bewusst ist?
*1. Mose 2,7 Luther-Übersetzung, Revision 2017
Aber vielleicht gibt es ja auch beim Menschen (wie bei unserem Buch, siehe oben) „Inhalte“, die nicht schon in der Materie des menschlichen Körpers vorgegeben sind? Gibt es etwa auch im menschlichen Dasein einen „Sinngehalt“, der über das bloß Materielle hinausgeht? Gewiss, der Mensch ist kein Buch, aber wenn wir schon einem Buch (also einem „Ding“ aus totem Material) zugestehen, dass es Träger einer „Geschichte“, also eines Sinngehalts ist, der nicht schon in der Materie des Papiers und der Druckfarbe vorgegeben ist, sollten wir dann wirklich jeden Gedanken zurückweisen, der vermutet, dass auch dem Menschsein eine „Sinngeschichte“ zu eigen ist, die nicht schon durch seine materielle Zusammensetzung vollständig definiert werden kann? Vielleicht ist ja der Mensch (ähnlich dem Buch) auch so etwas wie eine „Einheit aus Materie und Sinngehalt“, dessen Sinngehalt (wie beim Buch) vom einem Schöpfer (beim Buch nennt man ihn „Autor“) gestaltet wurde. Beim Buch ist ja der Sinn-Inhalt des Krimis oder der Liebesgeschichte auch nicht in jahrtausendelangen Zufalls-Entwicklungen „von selbst“ in der Materie des Buches entstanden. (In der Biologie verwendet man manchmal, wenn man so ein Entstehen „von selbst und durch sich selbst“ beschreiben will, den Begriff Autopoiese“. Damit will man ausdrücken, dass alles Leben aus sich selbst und durch sich selbst entstanden ist). Das Buch jedenfalls und die Geschichte, die es beschreibt (egal ob Krimi oder Liebesgeschichte) ist nicht durch „Autopoiese“ entstanden. Warum sollten wir dann drauf bestehen, dass das Leben und das Menschsein auf jeden Fall und unbedingt nur aus sich selbst entstandene und sinnlose Zufalls-Produkte der eigenen materiellen Bestandteile sein müssen?
2 Deutung und Bedeutung
Die Menschen sind schon immer Sinn-Sucher. Sie mussten es sein. Die Menschen (in ihrer letzten Ausprägung als Homo Sapiens) waren von Anfang an für den „Kampf ums Dasein“ in der Natur höchst unzureichend ausgestattet: Sie konnten nicht so schnell laufen wie ein Reh, waren nicht so stark wie ein Bär, konnten nicht so gut riechen wie ein Wolf, nicht so gut hören wie ein Luchs, nicht so scharf sehen wie ein Adler, hatten weder Pelz noch Federn für den Winter, weder Hörner oder Hauer noch Klauen oder Krallen für den Kampf. Der Philosoph und Anthropologe Arnold Gehlen nannte die Menschen „Mängelwesen“ … Aber, sie entwickelten Intelligenz und Phantasie und lernten so (siehe die Beiträge „Welt-Bewusstsein“ und „Selbst-Bewusstsein“), mit den Widrigkeiten ihrer Umwelt intelligent und phantasievoll umzugehen. Sie lernten, Zusammenhänge zu erkennen, Kausalketten zu durchschauen, Zukunftsprojektionen zu entwerfen, Pläne zu schmieden und in die Tat umzusetzen … Und so gewannen sie nach und nach alle Existenzkämpfe. Die einzigen „Feinde“, die wir Menschen im 21. Jahrhundert noch fürchten müssen sind (außer ein paar Bakterien und Viren) wir Menschen selbst.
3 Der Geschichten-Erzähler
Wir Menschen können Zusammenhänge, Bedeutungen, Hintergründe … vor allem dann verstehen, wenn sie eine „Geschichte“ erzählen, die uns an unsere eigenen Erfahrungen erinnert: Ereignisse reihen sich aneinander, es vollziehen sich Veränderungen, Neues entsteht … Ein großer Teil unserer Erfahrungswelt besteht aus solchen Abläufen und wir versuchen, in den Vorgängen so etwas wie Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, Ursache-Wirkung-Zusammenhänge wahrzunehmen, Bedeutung und Sinn-Hintergründe zu erschließen, so dass wir Anhaltspunkte haben, wie wir in den aktuellen Situationen sinnvoll (das heißt in diesem Zusammenhang: das eigene Leben erhaltend) reagieren und handeln können. Wir Menschen sind Geschichten-Erzähler und Geschichten-Versteher, schon immer.
Sinn-voll erscheinen uns Welt-erklärende Sinn-Geschichten (heute nennt man die gern „Narrative“) dann, wenn wir in diesen „Geschichten“ selbst vorkommen, wenn sie uns erklären, wie unser kleines Leben in die großen Zusammenhänge unserer „Welt“ passt. Und: Sinnvoll scheinen sie uns, wenn durch diese Erzählungen in all dem oft so verworrenen Geschehen für uns eine Richtung und ein Ziel erkennbar werden.
So sind wir ständig auf der Suche nach solchen sinnstiftenden „Geschichten“. Und wo wir in dem, was wir erleben, die Zusammenhänge nicht verstehen, und die Hintergründe nicht durchschauen fangen wir an, selbst Deutungs-Geschichten entwickeln, die uns das Unerklärliche doch irgendwie „sinnvoll“ machen sollen (heitige Verschwörungs-Theorien dienen dem genau gleichen Zweck).
Wenn z. B. die Steinzeit-Menschen von der Höhle am Bach (die in den vorausgehenden Beiträgen schon einige Male für Erklärungen herhalten mussten) nach einer langen Starkregen-Periode erlebten, wie das Wasser im Bach immer höher stieg, bis es schließlich den Höhlen-Eingang und die tiefer gelegenen Teile der Höhle überschwemmte, so konnten sie den Zusammenhang zwischen dem Regen und dem Hochwasser erkennen, und sie konnten, nach einigem Überlegen, auf die Idee kommen, einen Damm zu bauen, der (bei der nächsten Überschwemmung) das Wasser vom Eingang der Höhle fernhalten könnte.
Wenn aber die gleichen Menschen von einem Sturm überrascht wurden, der einige Mitglieder der Sippe, die nicht rechtzeitig die sichere Höhle erreichten, durch umstürzende Bäume verletzte oder gar tötete, und wenn sie aber zugleich keine Möglichkeit sahen, einen nächsten Sturm vorherzusagen oder ihm auszuweichen, so würden sie, um sich die Illusion ihrer Handlungsfähigkeit zu erhalten, vielleicht einem Sturm-Dämon opfern, um ihn (der ja vielleicht Macht hat über den Sturm) zu veranlassen, nun für sie den Sturm zu beschwichtigen.
Menschen können aus ihrem Erleben nachträglich Geschichten komponieren und erzählen, Sinn-Geschichten („Narrative“), die ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse in einen erklärenden, deutenden, sinngebenden Zusammenhang stellt (Beispiele dafür sind die Sagen und Legenden der Völker). Allerdings: Für die Religionen der Völker und Kulturen reicht dieses Erklärungsmodell nicht aus (das kann hier nicht weiter ausgeführt werden; siehe dazu das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“).
Solche Sinn-Geschichten, werden dort, wo sich einfache sachliche Zusammenhänge erkennen lassen, eine realistische Beschreibung beinhalten, dort aber, wo sich Menschen undurchschaubaren Vorgängen gegenüber sehen, werden sie versuchen, Sinn-Geschichten zu komponieren, die ihre Verstehens-Lücken mit Phantasie-Inhalten füllen, die ihren Wünschen nach Sicherheit und Daseinsbewältigung entgegenkommen.
Menschen sind notwendigerweise Sinn-Sucher. Die Erfahrungen von Menschen und Menschen-Gemeinschaften in Jahrtausenden haben ihnen gezeigt, welchen großen und überlebenswichtigen Vorteil es bedeutet, wenn sie die Vorgänge und Abläufe in ihrer Umgebung so weit durchschauen, dass sie einigermaßen angemessen und „Sinn-voll“ reagieren können. Und: wenn sie vorausdenken können, wie es wahrscheinlich weitergeht. Denn dann können sie sich vorbereiten auf das Kommende – und (wenn ihre Interpretationen des Vergangenen und ihre daraus abgeleiteten Erwartungen für das Zukünftige zutreffend waren) leichter leben und überleben.
Das gelingt dann am besten, wenn sie nicht nur einzelne isolierte Vorgänge zu verstehen versuchen, sondern wenn sie in den einzelnen Vorgängen größere Zusammenhänge erkennen. Die Fähigkeit, Einzelerfahrungen zu verknüpfen und Zusammenhänge zu erkennen, gab den Menschen in ihrer Umwelt eine gewisse Sicherheit. Und die positiven Erfahrungen, die man damit machte, weckten den Wunsch und das Bestreben, nun alle Facetten der eigenen Weltwahrnehmung in ein umfassendes „Bild“ ihrer Welt und Umwelt einzuordnen und sie dann in einem eigenen (persönlichen und kollektiven) „Weltverständnis“ zusammenfassend und Sinn-gebend zu deuten.
Der Mensch (jeder Mensch, ob Nobelpreisträger oder geistig Behinderter) ist notwendigerweise und unausweichlich ein Sinn-Sucher, das heißt, er ist unheilbar religiös. Die Religionen der Menschheit sind ja (nicht nur, aber auch) aus den erzählten Sinn-Geschichten der Völker und Kulturen entstanden. Und zugleich sucht der „Geschichtenerzähler“ namens „Mensch“ in allen Bereichen, wo er sich hilflos erfährt (und die gibt es heute noch genau so wie vor Jahrtausenden), Hilfe in der Beziehung zu einem Du, das nicht neben, sondern über ihm steht, mächtig zu helfen und zu retten, aber auch mächtig zu richten und zu strafen. Und so malt er sich aus: Himmel voller Götter, Berge und Bäume voller Dämonen, Sterne, die sein Schicksal bestimmen, kosmische Kräfte, eingefangen in Kristallkugeln, Steinen, Blüten, Handlinien, Karten … oder endlose Folgen von Wiedergeburt und immerwährendes Mühen um Vervollkommnung bis zur endlichen Erlösung … (und es sage niemand, dass es das alles im „aufgeklärten“ 21. nicht mehr gibt). Und in vielen dieser „Sinn-Geschichten“ spielen übermenschliche Mächte, die man hinter den vordergründigen Ereignissen vermutete, eine wichtige Rolle.
Freilich bringt so ein erklärendes und sinnstiftendes „Welt-Bild“ (so anfanghaft unvollkommen es auch sein mag) auch die Notwendigkeit mit sich, nun auch die eigene Existenz in den Deutungs-Zusammenhang eines als stimmig und positiv empfundenen „Selbst- und Welt-Bildes“ zu bringen. Der Mensch ist von seiner geistigen Konstitution her dahin ausgerichtet, sein eigenes Selbstverständnis und Weltverständnis in einen umfassenden Sinn-Zusammenhang einzuordnen. Nur dann gewinnt er ein stimmiges Gesamtkonzept, das ihm hilft, auch mit den Widrigkeiten seines Leben „Sinn-voll“ umzugehen. Menschen aller Zeiten und Kulturen fühlen sich gedrängt, ein für sie selbst als stimmig empfundenes Selbst- und Weltverständnis zu entwickeln, das eine Sinn-Geschichte erzählt, die ihnen selbst eine bedeutungsvolle und positiv-sinnvolle Rolle in dem wahrnehmbaren Geschehen zuschreibt.
Deshalb sind die „Sinn-Geschichten“ der Menschen (jedenfalls, so weit sie diese selbst erfinden) immer so angelegt, dass sie sich selbst (als Einzelne oder als Kollektiv) als die positiven Sinn-Träger deuten und herausstellen und die „Anderen“, die „Fremden“ als die negativen Gegenspieler darstellen, die dem positiven „Sinn“ widerstehen. Und das verschärft oft schon bestehende Konflikte.
Wenn Menschen z. B. die Geschichte der Menschheit als „Rassenkampf“ deuten und sie selbst sich als „Arier“ verstehen, und sie in den Ariern als „Rasse“ die entscheidenden Kulturträger der Menschheitsentwicklung sehen, welche berufen sind, die Entwicklung der Menschheit zu einer großartigen und Menschheits-rettenden Vollendung zu führen, und sie zugleich „die anderen“ (z. B. die Juden) als „Menschheits-Schädlinge“ ansehen, die das Erreichen dieses großen Menschheitszieles verhindern wollen, so kann das ganz konkret zu wahrhaft „unmenschlichen“ Denk- und Handlungsweisen führen. Für das Welt- und Selbst-Bewusstsein in der Sinn-Geschichte der Anhänger des Nationalsozialismus im „Deutschen Reich“ 1933-1945 war das millionenfache Mord-Geschehen des Holocaust eine völlig logische und richtige, ja notwendige und ehrenvolle Folgerung (so haben die das damals auch ausgedrückt!).
Vergleichbar gilt das ebenso, wenn man z. B. meinte, als „Proletarier“ jener „Klasse“ der Menschheit anzugehören, die unaufhaltsam die Zukunft der Menschheit in der kommunistisch geführten „klassenlosen Gesellschaft“ bestimmen wird und welche die Menschheits-Geschichte zum endgültig Guten führen wird, und wenn man gleichzeitig „die anderen“ (z. B. die „Kapitalisten“ und „Imperialisten“) als die „Bösen“ sah, die das „Gute“ verhindern wollen, dann hatte das in der realen Geschichte der Völker der Erde im 20. Jahrhundert vergleichbare Folgen, die vielen Millionen Menschen das Leben kosteten usw.
Das Bestreben (und die Fähigkeit) der Menschen, das eigene Welt-Verständnis und das eigene Selbst-Verständnis in einer umfassenden Sinn-Geschichte zu deuten, bringt unausweichlich die Gefahr mit sich, dass der (individuelle und kollektive) Egoismus die „Deutungs-Hoheit“ über unsere Welt-Deutungen erringt. Und dann ergibt unsere Suche nach Sinn eine sich selbst-überhöhende Ideologie, die alles unter die Gewalt ihrer eigenen und auf den eigenen Vorteil zugeschnittenen Idee zwingt. Und solche Ideologien waren es, die das vergangene zwanzigste Jahrhundert zum weitaus blutigsten der ganzen Menschheitsgeschichte machten.
Man muss das ganz nüchtern sehen: Die Macht der ideologisch vereinnahmten Narrative (und manchmal auch die Macht der ideologisch missbrauchten Religionen), die ein Welt- und Selbstbewusstsein formen, die alles Eigene überhöht und alles Fremde erniedrigt, ist die größte Gefahr für die Weiter-Existenz der Menschheit und des Lebens im 21. Jahrhundert, noch größer als die (auch sehr große) Gefahr der klimatischen Selbstzerstörung. Nüchtern betrachtet, müssen wir damit rechnen, dass die Menschen im Zeitalter der (atomaren, biologischen und chemischen) „Massenvernichtungsmittel“ zusammen mit den noch kaum abschätzbaren Potenzen von „Künstlicher Intelligenz“ ego-zentrierte Sinn-Geschichten (Narrative) erfinden werden, die sie (bewusst oder unbewusst) dazu anleiten werden, die Menschheit (und das Leben als Ganzes) in die Selbstvernichtung zu führen. Der Mensch ist für sich selbst die größte Gefahr. Doch wir sind ihr nicht hilflos ausgeliefert. Und dabei spielen Vorgänge eine Rolle, die mit dem „Verlangen nach Sinn“ und selbstgemachten „Sinn-Geschichten“ nicht zu erklären sind.
Der Mensch ist ein Sinn-Sucher. Aber das erklärt noch nicht ein „ICH“, das über seine materiellen, biologischen und sozialen Bedürfnisse und über seine eigenen, egoistisch motivierten Sinn-Geschichten weit hinauswachsen kann. Ein Bergsteiger z. B., der nach jahrelangen Training seinem Körper schier übermenschliche Strapazen abfordert, um als erster einen nie bestiegenen Gipfel zu erreichen, oder eine Marathon-Läuferin, die sich über die 42-km-Distanz quält, um sie in einer noch besseren Zeit zu schaffen als ihre Konkurrentinnen, das ist erklärbar. Sie wollen sich und der Welt beweisen, dass sie zu persönlichen Leistungen fähig sind, die über das hinausgeht, was andere bisher geschafft haben. Aber ein Bergsteiger, der dicht unterhalb des Gipfels seinen Rekordversuch abbricht, um ein Mitglied einer anderen Seilschaft, das er gar nicht persönlich kennt, aus einer unerwartet lebensgefährlichen Lage zu retten, obwohl er weiß, dass er dann selbst den Gipfel nicht mehr erreichen wird und andere den Ruhm der Erstbesteigung ernten werden? Oder weniger dramatisch: Eine ältere Frau, die einer jungen Flüchtlingsfrau mit Baby ihre Einliegerwohnung zur Verfügung stellt, damit die mit ihrem Kind aus der beengten und belastenden Lage in der Flüchtlingsunterkunft frei kommt, obwohl sie weiß, dass ihr das eher Anfeindungen als Anerkennung einbringen wird? (Auch so etwas gibt es ja!)
Aber, wie kann ein ICH zu solchen Entscheidungen kommen, Entscheidungen, durch die eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückgestellt werden, um anderen in einer Notlage beizustehen? Woher nimmt ein ICH die Freiheit, Dinge zu tun, die nicht dem eigenen Vorteil im „Kampf und Dasein“ dienen? Die menschliche Natur, die, wie alles Leben, ihre Lebensenergien aus „evolutionären Prozessen“ bezieht, kann ihm diese Freiheit nicht geben, niemals! (Siehe dazu auch das Thema „Die Ethik des Atheismus“). Das ist nur möglich, wenn der Bergsteiger und die ältere Frau einem Sinn-Bewusstsein folgen, das nicht allein im eigenen (individuellen oder kollektiven) Vorteil begründet ist. Worin aber dann?
Menschen sind Sinn-Sucher. Und bei allen Überlebens-Vorteilen, die das bietet, kann uns diese Sinn-Suche, wenn sie in egoistischen Neigungen gefangen bleibt, im 21. Jahrhundert in die Selbstzerstörung führen. Es sei denn …?
Es sei denn, dass wir es akzeptieren, wenn uns „von außen“ eine Sinn-Deutung angeboten (nicht aufgezwungen, aber angeboten) wird, die nicht unseren Egoismus bedient, sondern dem Ganzen des Menschseins (und des Lebens) auf unserer Erde dient. Und so eine alle und alles (auch „die anderen“) umfassende und alle und alles positiv einbeziehende „Sinn-Erzählung des Lebens“ könnte nur von dem „Autor (Schöpfer) des Lebens“ gegeben werden (siehe oben im Vergleich mit dem Buch), denn nur der, der die Geschichte des Universums und des Lebens und des Menschseins begonnen hat, nur der weiß, wie die Geschichte im Guten weitergehen kann und wie sie zum Guten ausgeht. Alle Sinn-Deutungen, die sich Menschen selbst geben, erreichen nicht das Ziel, ja nicht einmal die Zielrichtung, die dem Menschsein als Erfüllung seines Daseins vorgegeben sind. Dieses Ziel muss dem Menschen offenbart werden und die Weg-Führung dahin kann er dann als menschenfreundliche Begleitung empfinden und als Ziel-Orientierung für sein Leben empfangen.
Wir Menschen im 21. Jahrhundert brauchen keine selbst erfundenen und egoistisch motivierten „Sinn-Geschichten“, sondern wir brauchen die (wissenschaftliche und spirituelle) „Wahrheit über die Welt“ und ebenso die „Wahrheit über uns selbst“. Und wir brauchen diese Wahrheit als Begründung für unser Sinn-Bewusstsein und als Sinn-Angebot für die Gestaltung unserer Zukunft.. Wir brauchen Sinn-gebende Herausforderungen für unser Leben und Handeln ebenso, wie eine Berufung zum Mitgestalten unserer Welt entlang der Sinn-Geschichte der Schöpfung (siehe Abschnitt 4 „Die Sinn-Geschichte der Schöpfung“). Wie könnte so eine Berufung (und Sinn-Verwirklichung) des Menschseins aussehen?
3 Die Berufung des Menschseins
Die Berufung des Menschseins, die der Schöpfer des Universums und Autor der Menschheits-Geschichte uns anbietet, ist keine Geheim-Lehre für Eingeweihte, sondern offenes Angebot für jede und jeden. In den folgenden Abschnitten „Das Bild des Menschseins“ und „Das bewusste Ich“, soll das weiter ausgeführt werden.
a) Das Bild des Menschseins
In den ersten Kapiteln der Bibel (dem Buch, in der die vom Schöpfer des Universums selbst offenbarte „Sinn-Geschichte der Schöpfung“ enthalten ist) gibt es zwei Grundaussagen über das „Wesen“ des Menschen, also zu der Frage: „Was ist der Mensch?“.
Die erste Grundaussage zum Menschsein ist überraschenderweise keine Feststellung, sondern eine Aufforderung und Verheißung, eine Aussage darüber, was der Mensch sein und werden könnte, nicht darüber, was er „von Natur aus“ ist (1. Mose 1, 26-27): Und es sprach Gott: Machen wollen wir den Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit (gemeint ist: „Ein Bild, das unserem Vor-Bild entspricht“) (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie (eigene, urtextnahe Übersetzung).
Hier heißt es zum ersten Mal in der „Schöpfungsgeschichte“, dass Gott etwas machen „will“. Bis dahin hieß es immer in fast monotoner Folge: Gott sprach und es wurde so. Mit der Erschaffung des Menschen war das Schöpfungshandeln Gottes bei dem Ziel angekommen, das er erreichen wollte. Als „ein Bild, das dem Vor-Bild Gottes entspricht“, so will Gott den Menschen, das heißt als ein Wesen, das so sein, bzw. so werden soll, dass man an ihm, seinem Leben, Reden und Handeln und vor allem an seinem Miteinander und Füreinander in Gemeinschaft etwas (wenigstens etwas, und sei es noch so gering, bruchstückhaft und fragwürdig), etwas von Wesen Gottes erkennen kann. Auf diese erste Grundaussage über das Menschsein werden wir später noch zurückkommen.
Erst die zweite Grundaussage der Bibel zum Menschsein redet davon, was der Mensch ist (1. Mose 2,7): Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen (Lutherübersetzung 2017).
Der erste Teil dieser Aussage klingt, (wenn man bedenkt, dass dieser Text mindestens zweieinhalb Tausend Jahre alt ist) geradezu umwerfend modern: Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde. Der Verfasser dieses Textes stellt fest: Der Mensch ist aus der gleichen Materie gemacht, wie der „Staub von der Erde“ (übrigens: dass Gott den ersten Menschen aus einem Lehmkloß formte, den er dann durch Anhauchen zum Leben erweckte, steht nicht in der Bibel, siehe das Thema „Adam“ Beitrag 1: „Adam, der erste Mensch?“). Hier wird nur betont: Die Bausteine des Lebens sind nicht aus einem besonderen „Lebens-Stoff“ gebildet und der Mensch nicht aus einer besonderen (vielleicht sogar göttergleichen) „Supermaterie“, sondern aus den gleichen Materialien (wir Heutigen nennen sie Atome und Moleküle), wie die ganze belebte und unbelebte Schöpfung, bis hin zum Dreck auf der Straße. Das kann Menschen, die das ernst nehmen, vor jeder Selbstüberhöhung bewahren: „Was willst du denn, Mensch, was baust du dich so groß auf? Staub von Erdboden bist du, sonst nichts“ (zumindest materiell gesehen)!
Freilich besteht diese erste „Ist-Aussage“ über das Menschsein noch aus einem zweiten und dritten Teil. Zunächst der Zweite: „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase“. Der Mensch ist eben nicht nur „Staub von der Erde“, sondern „Staub von der Erde + Odem des Lebens“, und erst durch diesen Lebens-Odem (Bibel-hebräisch „Neschamah“), den Gott ihm (ihm und nur ihm, keinem Lebewesen sonst) persönlich und direkt einhaucht, wird der Mensch (so die dritte Aussage dieses Textes) ein „lebendiges Wesen“.
Das also ist der Mensch: Lebewesen aus Staub von der Erde, dem eine besondere Zuwendung Gottes (Odem göttlichen Lebens) zuteil wird. Wenn es um das „biologische Leben“ geht, muss der Mensch mit zu den Tieren (genauer: zu den Säugetieren) gezählt werden. Trotzdem nimmt der Mensch in der Schöpfung eine Sonderstellung ein: Nur ihm, keinem anderen Lebewesen wird der „Odem des Lebens“ direkt und persönlich von Gott eingehaucht. Und dieser „Lebensodem“ ist nicht nur biologisch zu verstehen, sondern auch spirituell. Das biologische Wesen „Mensch“ wird zum Träger einer spirituellen Existenz (einer Sinn-Geschichte) durch eine „Hingabe“ Gottes. Die Frage ist nur: Worin besteht diese „spirituelle Existenz“?
Kehren wir noch einmal zur ersten Aussage der Bibel über das Menschsein zurück (1. Mose 1, 26-27): Und es sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie.
Biblisch gesehen ist dieses auf zwei Beinen aufrecht gehende Lebewesen „Mensch” nicht definiert durch das, was es ist (ein relativ intelligentes Säugetier aus „Staub von der Erde“) sondern durch das, was es sein und werden soll: „Bild” Gottes, Abbild und Darstellung des innersten Wesens dessen, der das Universum geschaffen hat. Der Mensch ist im Vergleich zu allem Vorangegangenen eine wirkliche Neuschöpfung Gottes, trotz seiner biologischen Nähe zu den Säugetieren. Und dieses „ganz Neue“ ist nicht materieller und nicht biologischer Art, besteht auch nicht in seinen geistigen Fähigkeiten, sondern in einer besonderen, nur die Menschen betreffenden Berufung: Die Schöpfung „Mensch“ soll etwas werden, das weit über seine materielle, biologische und intellektuelle Existenz hinausreicht: Er soll „Bild“ Gottes werden, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht, schauen wir uns doch die Götterbilder der Religionen an).
Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein. Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches „Wesen“? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte des Judentums und der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Und in dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben).
In der Bibel klingt das so (1. Joh 4, 7-8): Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Substanz”, seine „Identität”, seine „Person“, sein „Geist“.
Die Bibel beschreibt (in deutscher Übersetzung) das Wesen Gottes in drei Worten: Gott – ist – Liebe. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme und uneingeschränkter Zuwendung, in unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du, zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt, zu lieben, auch wenn es etwas kostet, auch wenn es in einer bestimmten Situation möglicherweise sehr viel kostet. Diese Liebesfähigkeit (als menschlich anschaubares „Bild“ Gottes) ist es, die Gott dem Menschen besonders einhauchen musste, da sie seinem Status als Lebewesen mitten im „Kampf ums Dasein“ total widerspricht.
Solche Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich sogar selbst unter Zurückstellung des eigenen kreatürlichen Lebenswillens für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, um es zu retten, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll. (Ein Hinweis: Hier könnte die Frage entstehen, ob denn das wirklich wahr ist, dass das „Wesen“ des biblischen Gottes (JHWH) und Schöpfers der Welt „Liebe“ ist. Wie kann es dann soviel Leid und Not geben? Siehe dazu die Themen „Die Frage nach dem Leid“ und „Die Frage nach dem Sinn“)
Die Berufung des Menschen zum „Bild“ Gottes, an dem man etwas (wenigstens etwas, und wäre es noch so gering) davon wahrnehmen soll, wie Gott ist, das ist das eigentlich Menschliche und Besondere am Menschsein. Alles andere (z. B. auch seine geistigen Fähigkeiten) ist nur eine graduelle Weiterentwicklung dessen, was bei den Tieren in Abstufungen auch schon vorhanden ist. Diese Berufung, etwas vom Wesen Gottes (seiner Liebe) hier im materiellen Dasein sichtbar und erfahrbar zu verwirklichen, die ist auch der „Bezugspunkt“, der das Menschsein an eine Sinn-gebende Realität bindet, die nicht in der materiellen Ausstattung des Universums begründet ist und auch nicht in den eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Begierden der Menschen.
Diese Liebe soll auch Überwindung zur des universalen Ego–Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen. Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein”, und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen, auch das Gegenmodell zum Egoisten und modernen Selbst-Verwirklicher, der sich auf Kosten anderer Ansehen, Geld und Macht verschafft, und auch das Gegenmodell zum religiös-fanatischen „Märtyrer“, zum „Gotteskrieger“, der sein Leben opfert, um möglichst viele „Ungläubige“ mit in den Tod zu reißen und so für sich selbst einen Platz im Paradies zu erringen.
Mitten in einer Natur, in der jedes Lebewesen um seinen Lebensraum und seine Lebensmittel ringen muss und mitten in den Kulturen, wo sich jeder einen „Platz an der Sonne“ erkämpfen muss, schafft Gott mit dem Menschen ein Geschöpf, das die Möglichkeit hat, seinen Lebensraum bewusst als Raum der Gemeinschaft zu gestalten und seine Lebens-Mittel im bewussten Miteinander und Füreinander zu erwerben (und wenn wir das versuchen, entdecken wir, dass das möglich ist, ja dass es sogar viel schöner ist und viel besser gelingt, als im Kampf gegen „die anderen“). Gott will sich in seiner Schöpfung ein Gegenüber erwecken, das sein Ebenbild ist, erkennbare und erfahrbare Vergegenwärtigung seiner Liebe mitten in dieser Welt und mit dem er eine Liebesbeziehung beginnen kann.
Zugleich rührt uns aber auch ein großes Erschrecken an angesichts unserer Erfahrungen in Gegenwart und Geschichte, wie weit sich menschliches Dasein im Denken, Reden und Handeln von dieser Grundberufung des Menschseins entfernen kann!
Zum Bewusst-Sein unseres eigenen Menschseins gelangen wir erst durch das Bewusst-Werden der Berufung allen Menschseins, nämlich eine Lebenshaltung der Liebe zu verwirklichen, durch die etwas vom Wesen der Liebe Gottes abbildhaft und vorbildhaft in dieser materiellen Welt dargestellt und verwirklicht wird. Die Herausforderung unserer Menschlichkeit und unserer Mit-Menschlichkeit als Verwirklichung unserer Berufung zur Gottesebenbildlichkeit ist Herausforderung und Aufgabe für jedes Menschenleben, unabhängig davon, ob dieser Mensch von dieser Berufung weiß oder nicht. Und dieser „Maßstab der Liebe in Freiheit“ gibt dem ICH eine Eigenständigkeit und ein Welt- Selbst- und Sinn-Bewusstsein und eine „Menschen-Würde“, die unabhängig sind von allen historisch gewordenen menschlichen Kategorien.
b) Menschenwürde
In Demut achte einer den andern höher als sich selbst (Phil 2,3), so rät der Apostel Paulus vor etwa zweitausend Jahren der christlichen Gemeinde in Philippi. Nicht, weil er ein geringes Selbstwertgefühl für eine christliche Tugend hält, sondern weil er weiß, dass die Wertschätzung des andern (die ich ihm gebe und die ich von ihm empfange) eine der Säulen ist, die das eigene Selbstbewusstsein trägt. Das Fundament aber, auf dem beides (Selbstbewusstsein und Wertschätzung des Nächsten) ruht, kann sich der Mensch nicht selbst legen und wenn er sich noch so sehr darum bemüht. Diese Grundlegung geschieht im Wesentlichen, bevor ein Mensch sie bewusst wahrnehmen und willentlich damit umgehen kann. Auf zwei Ebenen: einer menschlich-sozialen Ebene und einer göttlich-spirituellen Ebene.
Die menschliche Ebene ist jedem sofort zugänglich: Die Erfahrungen der frühesten Kindheit, vor allem durch die liebevolle Zuwendung der nächsten Bezugspersonen (oder eben durch deren grobe Misshandlung, kalte Ablehnung, desinteressierte Vernachlässigung, hilflose Überforderung …) prägen unmittelbar die emotionale Grundstimmung und ebenso die geistige Grundhaltung, die unsere Umweltwahrnehmung, unser Weltverständnis und unser Selbstwertempfinden entscheidend mitbestimmen.
Schwieriger ist es mit der zweiten, der geistlichen und göttlichen Ebene. Einerseits gehört auch die religiöse Prägung des Elternhauses mit zum oben genannten familiären Umfeld, sie ist Teil der kulturellen Einbettung der Familie in den größeren Sozialzusammenhang der Gesellschaft (oder auch nur in einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, z. B. einer Glaubensgemeinschaft). Andererseits begegnet uns hier eine Grundlegung menschlichen Selbst- und Weltverständnisses, dessen Fundamente noch viel tiefer liegen, als die des gesellschaftlichen Miteinanders: In der voraussetzungslosen Liebe Gottes. Die (reale) Wahrnehmung dieser Liebe kann Menschen jeden Alters einen Zugang eröffnen zu einem Sinn-Gehalt des eigenen Lebens, der in eine allgemeine und umfassende Sinn-Geschichte des Daseins eingebettet ist.
Eine solche, nicht von Menschen (und deren egoistischen Bestrebungen) selbst erfundene „Sinn-Geschichte des Menschseins“ finden wir in der biblischen Offenbarung Alten und Neuen Testaments. Sie zeigt uns: Das Besondere und Eigentliche am Menschsein ist nicht eine höhere Ausprägung von Eigenschaften, die manche Tiere auch haben (Wahrnehmung, Intelligenz, Sozialformen …), auch nicht nur die Fähigkeit, die eigene Existenz deutend in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Das Besondere und Eigentliche am Menschsein ist eine Berufung, die nur die Menschen betrifft (1. Mose 1, 27): Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. Das Menschsein ist dazu berufen, etwas „abzubilden“, was in dieser geschaffenen Welt nie direkt wahrnehmbar sein kann: Der Schöpfer selbst. Und es ist im Besonderen diese Berufung und Herausforderung, die das Menschsein von allen anderen Lebensformen unterscheidet (siehe oben Abschnitt a „Das Bild des Menschseins“).
Die Würde des Menschseins (im Unterschied zu allen anderen Lebewesen) besteht darin, dass der Mensch nicht nur ein bloßes Naturwesen ist (das auch), auch nicht nur ein Kulturwesen (das auch), sondern von Gott zu einem besonderen Dasein berufen und von ihm mit besonderer Wertschätzung angesehen. Und die Würde des Menschen ist auch darin begründet, dass er sich dieser „Sinn-Berufung des Menschseins“ bewusst werden kann. Und: Gott geht bei dieser „Sinn-Berufung des Menschseins“ in Vorleistung, vor allem Wollen und Tun des Menschen:
Jer 31,3: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. So spricht Gott zu den Menschen seines Volkes Israel. Wenn schon die Achtung und die Liebe, die sich Menschen untereinander entgegenbringen so grundlegend sind für die Würde des Menschseins (siehe oben), wie viel mehr dann die Liebe dessen, der alles Menschsein geschaffen hat. Seine Liebe ist bedingungsloser, unerschütterlicher und hingabebereiter, als es menschliche Liebe je sein kann. Ja, sie mündet in letzter Konsequenz in die Selbsthingabe Gottes an das Menschsein als Gegenüber seiner Liebe. 1. Joh 4,9: Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Nicht nur, dass wir durch ihn leben sollen, sondern auch, dass wir durch ihn in der Liebe leben sollen. Joh 13, 34+35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.
Ja, Gott hat uns, das Menschsein als Ganzes, und jeden Menschen als Einzelnen, gewürdigt, Träger und Spender der Liebe zu sein, die das innerste Wesen seiner Gottheit ausmacht (1. Jo 4, 16: Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm).
In Jesus ist diese Liebe Gottes Mensch geworden und so das Menschsein zur anschaubaren Vergegenwärtigung Gottes (1. Mose 1,27: Und Gott schuf den Menschen sich zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn). Durch Jesus von Nazareth ist zum ersten Mal diese Menschheitsberufung erfüllt. In seinem Leben, Reden und Handeln leuchtet zum ersten Mal das unverfälschte und unverdorbene „Ebenbild Gottes“ im Menschsein auf. Und diese Mensch-gewordene Liebe Gottes soll nun, zunächst in der biblisch begründeten Gemeinschaft, aber dann auch (in der Zielperspektive der Vollendung) in allem menschlichen Miteinander zum Wesensmerkmal des Menschseins werden. Röm 5,5: …die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Diese Ausgießung der Liebe ist Selbsthingabe Gottes: Gott gießt seine Liebe (und damit sich selbst) aus ins Menschsein, ganz konkret und erfahrbar in der Person seines „Sohnes“ Jesus von Nazareth. In ihm war die Liebe Gottes so gegenwärtig und wirksam, dass sie bereit war, sich ganz ins Menschsein zu investieren, auch auf die Gefahr hin, dass sie dort missachtet, gehasst, verraten und getötet wird.
Dabei ist diese Hingabe Gottes so rückhaltlos, dass die Verletzung der Liebe unter den Menschen (in jedem menschlichen Miteinander bzw. Gegeneinander) auch die Würde Gottes verletzt. Trotzdem: Durch den Geist Gottes kann die Liebe, die das innerste Wesen Gottes ausmacht, auch zum Wesenskern des Menschseins werden. Gleichzeitig ist durch diese Hingabe Gottes das Menschsein selbst zu einer Würde „aufgewertet“, die jedes „menschliche“ Maß übersteigt.
Welche Wertschätzung bringt Gott, der Schöpfer des Universums und Erhalter allen Lebens dem Menschsein entgegen, dadurch, dass er sich selbst im Menschsein (durch die im Miteinander von Menschen verwirklichte Liebe) vergegenwärtigen will! Und welche unüberbietbare Würde verleiht er damit dem Menschsein als Ganzes und jeder menschlichen Gemeinschaft, indem er sie „zu seinem Bild“ erwählt und beruft!
Wer bin ich? Auf diese Frage gibt es nur sehr subjektive und sehr vorläufige Antworten. Objektiv (weil in Gott begründet) und bleibend gültig dagegen ist die Antwort auf die Frage „wer soll (und kann!) ich sein?“: Abbild der Liebe Gottes in der Gemeinschaft des Menschseins“.
Aber wie soll eine solche Berufung konkret werden im Leben der Menschheit und in unserem persönlichen alltäglichen Leben? Jesus gibt uns die für alle (unabhängig von Geschlecht, Volk, Kultur …) gültige Antwort (Mt 22, 37): Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Die Liebe zu Gott (die sich im Vertrauen zu Gott in allen Situationen des alltäglichen Leben realisiert), und die Liebe zu den Mitmenschen (die sich im alltäglichen Umgang mit ihnen, im Denken, Reden und Tun, in allen Situationen des alltäglichen Leben realisiert) ist das Besondere und Eigentliche im Menschsein. Wo das verwirklicht wird (auch in aller menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit), entsteht ein Stück „Himmel auf Erden“, eine Vergegenwärtigung Gottes im menschlichen Leben, wird das Menschsein zum „Ebenbild Gottes“. In Jesus von Nazareth ist diese Menschheits-Berufung schon zur vollen Erfüllung gekommen. In ihm ist Gott selbst gegenwärtig im Menschsein.
Dazu ist das Menschsein geschaffen, dass es in der Schöpfung ein Wesen gibt, das hier in dieser geschaffenen Welt (durch die Verwirklichung von Liebe im alltäglichen zwischenmenschlichem Umgang) zum Bild und Gleichnis des Schöpfers wird, so dass das, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, seine Liebe, nun auch in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam wird „wie im Himmel, so auf Erden“.
Damit ist zwar der Sinn des Menschseins erfasst, aber noch nicht der Sinn und das Ziel der Schöpfung insgesamt (für deren Erreichen das Menschsein jedoch eine entscheidende Rolle spielt). Gott hat eine zweiteilige Schöpfung gemacht: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde“ (1. Mose 1,1; siehe dazu auch das Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“). Aber: Himmel und Erde, diese beiden Schöpfungsteile sind völlig verschieden und völlig unvereinbar („inkombatibel“ sagt man heute dazu).
Der „Himmel“, das ist kein Paralleluniversum, kein fernes Märchenland, kein verlorenes Paradies, wo alles, was bei uns dunkel und un-heil erscheint, hell und heil ist, sondern der „Himmel“, das ist Gott selbst, ist das Licht und die Freude und die Kraft und der Lebensraum der Liebe, die durch die Gegenwart Gottes entstehen.
Die Erde dagegen (und das Wort „Erde“ steht im Anfangssatz der Bibel (siehe oben) noch für das ganze Universum, für die ganze materielle Schöpfung), ist von sich aus Liebe-leer; wie sollte denn auch tote Materie lieben können? Gott aber hat sich das Universum nicht als Spielzeug geschaffen, sondern dazu, dass im Geschaffenen etwas wachsen soll, das für ihn zum Gegenüber seiner Liebe werden kann: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde …“ Durch das Menschsein in liebender Gemeinschaft kann es geschehen, dass auch die materielle Schöpfung von Liebe erfüllt sein kann (wie im Himmel, so auf Erden) und sie so „vereinbar“ werden kann mit der Himmelswelt Gottes.
Die Vereinigung der Schöpfung aus Himmel und Erde, dadurch, dass sich das Himmlische (die Liebe) auch im Irdischen vollzieht, und Irdisches die Liebe Gottes erwidert, das ist der Sinn und das Ziel all dessen, was geschieht. Jesus sagt es so (und er zitiert beide Teile seines „Doppelgebotes der Liebe“ aus den „Alten“ Testament): „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ und: „Du sollst deinen Nächsten Lieben wie dich selbst.“ Wo das geschieht (und sei es noch so anfanghaft, unvollkommen und begrenzt), beginnt der Sinn der Schöpfung sich zu erfüllen.
Übersichtlich zusammengefasst könnten wir das bisher Gesagte so darstellen:
Welt-Wahrnehmung + Welt-Verständnis + Welt-Erkenntnis + Welt-Reflexion =
Welt-Bewusstsein
Selbst-Wahrnehmung + Selbst-Verständnis + Selbst-Erkenntnis + Selbst-Reflexion =
Selbst-Bewusstsein
weltanschaulich-religiös begründete Sinn-Geschichten des Menschseins
(Z. B. biblisch begründet durch die Berufung des Menschen zum Ebenbild Gottes) =
Sinn-Bewusstsein
Welt-Bewusstsein + Selbst-Bewusstsein + Sinn-Bewusstsein =
integriertes (individuelles und kollektives) Bewusstsein des Menschseins
Das gilt für für alle Menschen mit allen Religionen bzw. mit allen Weltanschauungen und Ideologien und auch für Atheisten. In der biblischen Offenbarung aber wird uns ein Welt-, Selbst- und Sinn-Bewusstsein angeboten, das der Schöpfer allen Seins selbst für uns offenbart hat.
Im folgenden Beitrag soll die „Sinn-Geschichte des Menschseins“ noch einmal erweitert werden zur (biblisch begründeten) „Sinn-Geschichte der Schöpfung“. In dieser „Bilder-Geschichte“ soll das, was in den Beiträgen „Welt-Bewusstsein“, „Selbst-Bewusstsein“ und „Sinn-Bewusstsein“ dargestellt wurde, noch einmal übersichtlich zusammengefasst werden. Dabei ergeben sich freilich Wiederholungen, aber die sind hier absichtlich und bewusst eingesetzt.
4 Die Sinn-Geschichte der Schöpfung
Wenn man beginnen würde, eine „Sinn-Geschichte der Schöpfung“ zu schreiben, dann würde man schnell an Grenzen stoßen. Deshalb will ich das gar nicht erst versuchen. Aber vielleicht ist es möglich, einige wesentliche Kern-Aussagen dieser Geschichte grafisch darzustellen, als Bilder-Geschichte. Wir merken immer wieder, wenn wir von Glaubensinhalten reden wollen: Wir haben nur sehr menschliche, und damit unzureichende Wörter und Begriffe, um etwas Göttliches anzudeuten. Freilich gibt es auch andere religiöse Ausdrucksformen als nur die Sprache: Musik (z. B. Gesang), Bewegung (z. B. Tanz), Rituale, Gemeinschaftsformen … Aber wir werden feststellen: Die beste Ergänzung zur Sprache, wenn es darum geht, Zusammenhänge erkennbar zu machen und Veränderungen in der Abfolge von Ereignissen darzustellen, sind Bilder-Geschichten (Comics leben davon). Die folgenden acht Bilder mit jeweils einigen Anmerkungen sollen dazu beitragen, wesentlich Inhalte der biblischen „Geschichte“ in einem fortschreitenden Sinn-Zusammenhang darzustellen und sie als „Ablauf“, als Stationen auf einem Weg, als Bewegung auf ein Ziel hin erkennbar zumachen. Dabei verwende ich häufig Begriffe und Formulierungen, die in den oben dargestellten Texten immer wieder vorkommen.
Bibeltexte sind hier fett-kursiv gedruckt.
Bild 1

Wir sehen: Ein farbiges Quadrat. Die Farbe gelb füllt hier das ganze Bild aus, ohne Veränderungen und ohne Zwischentöne. Ich verwende die Farbe „gelb“ oder „gold“ hier als Bild für „Gott“, den Gott der Bibel (JHWH), als Zeichen für Licht und Liebe, für Heiligkeit und Herrlichkeit, für Schöpfungswillen und Schaffenskraft, für Hoheit und Hingabe, Zuwendung und Zärtlichkeit. Dass diese Farbe das Bild ganz ausfüllt, soll zeigen: Gott erfüllt alles, ohne Veränderungen und Zwischentöne. Er ist ganz er selbst und „alles in allem“ (1. Kor 15, 28). Die quadratische Form zeigt nur einen Ausschnitt des eigentlichen Bildes, das wir uns nach allein Seiten unbegrenzt weiter fortgesetzt vorstellen können.
Bild 2

Dann aber (im Bild 2 angedeutet) geschieht etwas Seltsames und nie zu Erwartendes: Gott schafft im Innern seines alles umfassenden und alles erfüllenden Seins einen Leer-Raum, eine Offen-heit, einen Frei-Platz für etwas, das noch werden soll. Warum? Aus der Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass seine Existenz wesentlichen einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben. 1. Joh 4, 7-8: „Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.“
Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, sein „Geist“, seine „Substanz”, seine „Person“, seine „Identität”. Die Liebe aber kann niemals nur für sich selbst da sein. Sie braucht und sie sucht ein Gegenüber, das ihre Liebe erwidert. Das ist nicht nur bei den Menschen so; das ist auch bei Gott so. Deshalb macht Gott in seiner alles erfüllenden Einheit Raum für etwas Zweites; sein „Ich-bin“ schafft in sich selbst Platz für ein „Du“. Dieses „Du“ ist bei Gott schon immer gegenwärtig, schon lange vor aller Schöpfung (so wie ein Kind als Gegenüber ihrer Liebe bei seiner Mutter schon da ist, schon geliebt wird, lange, bevor es geboren ist). Der Frei-Raum in Gott wird zur Verheißung künftiger Beziehung.
Bild 3

Dieser Leer-Raum, diese Offen-heit, dieser Frei-Platz soll eine Füllung bekommen, eine Er-Füllung. Dazu ist er da. Dort soll etwas entstehen, dem zumindest die Möglichkeit innewohnt, dass es zum Gegenüber der Liebe Gottes werden könnte. Die Erfüllung dessen, was hier entsteht, wird etwas in Gang setzen, durch das so etwas wie eine „Liebesgeschichte“ möglich wird. Die Liebe Gottes „äußert“ sich, indem sie in sich sich Raum schafft für ein Gegenüber, zu dem sie eine „Liebesbeziehung“ aufnehmen will.
Dieses „Gegenüber“ wird hier (zunächst) im Bild als eine blaue Kugel dargestellt, d. h. als etwas, das deutlich unterschieden ist von Gott, aber doch von ihm gewollt, von ihm mit Schöpfungs-Potenz erfüllt und schon von seiner vorausgehenden Liebe umfangen: Ein Kraftfeld der Liebe Gottes, in dem eine „Entstehungsgeschichte“ angestoßen werden könnte. Vorerst ist aber nur ein erster Schritt auf dieses Ziel hin erkennbar: Gott macht als Voraussetzung für alles Kommende die materielle Schöpfung des Universums.
Bild 4

Wir sehen im Bild 4, wie ein Impuls, der von Gott ausgeht, das neu entstandene „Empfängliche“ trifft und dort Veränderungen in Gang setzt (ein Impuls, vergleichbar mit der Berührung einer ruhenden Wasseroberfläche, auf der nun ein Wellensystem entsteht und in Bewegung kommt, sichtbar dann in der Wellenbewegung in Bild 5; siehe dazu auch das Thema „Die Frage nach dem Sinn“, dort werden die Zusammenhänge ausführlicher dargestellt). Dies ist der Schöpfungsimpuls für die Entstehung des Universums. Aber, und das ist entscheidend wichtig: Die materielle Schöpfung des Universums ist nicht Sinn, Zweck und Ziel des Schöpfungshandels Gottes, sondern nur der erste Schritt dahin. Es genügt dem Schöpfer nicht, ein gigantisches, aber stummes, lebloses und sinnloses Universum zu schaffen, wie ein riesiges Feuerwerk, das aufleuchtet, eine Weile in großartigen Farben und Formen brennt und dann verlischt. Gott macht das Universum als „Bühne“, als Bühne für ein „Spiel der Liebe“. Und für dieses „Liebesspiel“ braucht er (das werden wir noch sehen) einen „Mitspieler“. Und wenn dieses Spiel sich entfaltet, will er, der selbst ganz Liebe ist, dadurch im Geschaffenen gegenwärtig sein. Er will sich in seiner Schöpfung ein Gegenüber erwecken, das sein Ebenbild ist, bewegt von der gleichen Urkraft, der Liebe, die das Universum in Gang setzte.
Bild 5

Die Schöpfung Gottes verschwindet nicht durch eine unendliche Expansion in einem unendlichen Nichts und sie kehrt auch nicht wieder in ihren eigenen Ursprung zurück. Sie geht von einem Anfangspunkt aus und sie läuft auf einen Zielpunkt zu. Anfang und Ziel sind nicht identisch, aber sie haben die gleiche Kraftquelle: die Liebe Gottes.
In diesem Ziel liegt auch der Sinn allen Daseins. Wir werden sehen: Alles Dasein kann nur dadurch den Sinn seines Seins finden, dass es durch die Liebe verwandelt wird in eine Existenz, die dem „Sein” Gottes entspricht und ihm zum Gegenüber seiner Liebe wird. Das würde aber voraussetzen, dass im Wellensystem der materiellen Schöpfung etwas von der „Ursubstanz des Seins“, d. h. von der schöpferischen Liebe Gottes selbst zum Schwingen kommt. Aber: Die ungeheuren Weiten des Universums mit ihren Galaxien, Sternen und Planeten, mit ihren „Roten Riesen“, „Weißen Zwergen“ und „Schwarzen Löchern“, die können ja nicht lieben, in denen findet sich nicht die geringste Spur dessen, was Gott in seiner Schöpfung sucht.
Damit dieser Schöpfungssinn dennoch zum Vollzug kommen kann, bringt der Schöpferwille Gottes nun (in der vorhandenen Schöpfung aus Materie und Energie, Raum und Zeit) eine zweite, völlig neue Wirklichkeit hervor: Das Wunder des Lebens. Die Erschaffung des Lebens mitten in einer Welt aus totem Material ist ein ebenso bedeutsamer und unverzichtbarer (zweiter) Schöpfungsschritt, wie es die Erschaffung des Universums (als erster Schritt) war.
Aber auch das Leben ist noch längst nicht geeignet, Gegenüber der Liebe Gottes zu sein. Das Leben will leben und kann es nur auf Kosten anderen Lebens: Kampf ums Dasein, Fressen und Gefressen-Werden, Kampf um den Platz an der Sonne, um Standorte und Nährstoffe, Beute und Sexualpartner ….
Trotzdem ist mit der Entstehung des Lebens ein ganz entscheidender Schritt getan, durch den Gott seine eigentliche Schöpfungsabsicht verwirklichen will: Gott schafft (als dritten Schöpfungsschritt) in der schon bestehenden biologischen Schöpfung ein Wesen, den Menschen, dem er die Möglichkeit gibt, bewusst über seine biologischen Grenzen hinauszugehen und einen Auftrag anzunehmen, für dessen Erfüllung Gott die ganze Schöpfung gemacht hat: Eben-Bild und Gegenüber der Liebe Gottes zu werden. (Der Pfeil mit zwei Spitzen deutet das Hin-und-Her der nun beginnenden Beziehung an: Aus den bis dahin stummen Materialien und Energien des Universums kommt eine Antwort: Ja, ich will!)
Bild 6

Im Bild 6 soll sichtbar werden, dass durch das Menschsein inmitten der Wellenbewegung der materiellen Schöpfung eine Existenz vergegenwärtigt wird, die weit über alles materielle und biologische Sein hinausgeht, indem es dort etwas vom „Wesen“ Gottes verwirklicht: Die Liebe (hier dargestellt in der gelben Farbe im Wellenmuster der materiellen Schöpfung).
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das etwas „soll“. Jedes andere Lebewesen erfüllt sein Dasein allein schon durch sein Da-Sein. Es kann seinen Lebenssinn nicht verfehlen. Der Mensch aber hat seinen Lebenssinn als Aufgabe bekommen, die er erfüllen oder verfehlen kann. Diese Aufgabe wird schon im ersten Kapitel der Bibel genannt (1. Mose 1, 27): Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie.
Die Aufgabe und Berufung des Menschseins ist es also, etwas sichtbar abzubilden und erfahrbar darzustellen, was für menschliche Augen eigentlich immer unsichtbar bleiben müsste und für menschliche Erfahrungen immer unvorstellbar wäre: Gott selbst, sein „Wesen“, sein „Geist“, seine „Substanz“, seine „Person“. Wenn man die Menschen anschaut, wie sie miteinander leben und miteinander umgehen und wie sie einander lieben, dann soll man etwas davon wahrnehmen (in aller menschlichen Unvollkommenheit, aber doch erkennbar): So ist Gott. Und wir erkennen, wie weit wir (nicht immer, aber oft) davon entfernt sind.
Jedes Menschsein ist zur Gottesebenbildlichkeit bestimmt, aber nicht jedes Menschenleben gelingt automatisch; auch das körperlich vollendetste und kulturell gebildetste nicht. Damit ist das Eigentliche des Menschseins noch nicht im Blickfeld. Es muss im Menschsein noch eine Neuschöpfung, eine „Neue Geburt“ (Jo 3,3) geschehen, damit es das werden kann, wozu es eigentlich da ist.
(Im Bild 6 wird die „Weltsphäre der Mitmenschlichkeit“, das weltweite „Beziehungsgeflecht der Liebe“, das jetzt entstehen soll, mit den gelben Punkten im Wellenmuster der materiellen Schöpfung angedeutet.)
Bild 7

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Diese Menschheitsberufung ist in den vergangenen Jahrtausenden immer wieder gescheitert – bis heute. Die Menschen sind (als Einzelne und als Gemeinschaften) von Natur aus Egoisten (wie alle anderen Lebewesen notwendigerweise auch, die ihre Lebens-Fähigkeiten und Überlebens-Strategien im „Kampf ums Dasein“ erworben haben): „Ich bin es“, „wir sind es!“ „Mein bzw. unser Überleben, Wohlergehen, Vorteil, Sieg … das hat höchste Priorität“.
Als das Vorhaben der Schöpfung zu scheitern drohte (weil Menschen es ablehnten, sich zum Ebenbild und Gegenüber der Liebe Gottes formen zu lassen), geschah der entscheidende Durchbruch: Die Mensch-gewordene Liebe Gottes „entäußerte“ sich, indem sie aus dem Lebens- und Schutzraum unmittelbarer Gottesgegenwart heraustrat und sich hineinbegab in die irdische „Kampfzone“ materieller Veränderungs- und Zerfallsprozesse, biologischer Selbstbehauptung, geistiger Auseinandersetzung und sozialer Machtkämpfe: Ein Mensch, als Mensch unter Menschen geboren und aufgewachsen, um dort ein unverfälschtes „Ebenbild“ der Liebe Gottes erkennbar und erfahrbar zu verwirklichen, auch auf das Risiko hin, dass es da zerstört wird.
So wurde die alle verändernde und erneuernde Kraft der Liebe Gottes durch den Menschen und Juden Jesus (Jeschuah) aus Nazareth nun auch im irdischen Menschsein präsent: sichtbar, spürbar, erkennbar, erfahrbar: Ein anschauliches „Bild“ des Schöpfers in der geschaffenen Welt.
Die Vor-Verwirklichung dieser erneuerten Menschheitsberufung begann mit der Hingabe, dem Tod und der Auferstehung des „Sohnes“ und mit der Entstehung einer „Gemeinschaft der Heiligen“, durch die (trotz aller furchtbaren Verirrungen der vergangenen Jahrhunderte) die Berufung allen Menschseins, Ebenbild und Gegenüber der Liebe Gottes Realität werden kann. (Die vielen Doppelpfeile zeigen hier die Vielfalt der Beziehungen an.)
Bild 8

Wir sehen im achten Bild, wie das „Gold“ des Anfangs, das zuerst nur Gott selbst zu eigen war, nun auch alles Menschsein erfüllt. Gott und Mensch und das Menschsein untereinander als Beziehungsgeschehen zwischen Liebenden. Das vollendete Menschsein, umfangen von der Liebe Gottes und selbst bestehend aus der gleichen „Ur-Substanz“ (der Liebe) wie Gott selbst, wird zum Gegenüber und Ebenbild des Schöpfers. So beschreibt die Bibel die „Sinn-Geschichte der Schöpfung“.
Diese Berufung kann man annehmen, man kann sie ablehnen oder man kann gleichgültig an ihr vorbeileben. Das heißt: Die Erfüllung des Lebens-Sinnes allen Menschseins ist ein Angebot, keine Zwangsveranstaltung. Wer dieses Angebot jedoch annimmt, der wird die Auswirkungen davon schon hier und jetzt (bei aller menschlichen Unvollkommenheit und Schuldbelastung) als beglückende Befreiung und Bestärkung, als Aus-Weitung und Auf-Wertung des alltäglichen Lebens erfahren. Die Zukunft der Schöpfung und der Sinn alles Geschaffenen sind bei Gott unverfehlbar vorgegeben. Nur der Mensch hat die Freiheit der Entscheidung, ob er selbst daran teilhaben will oder nicht.